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Добавлен: 18.11.2024
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kränkt mich immer noch lam lam lam. Angesichts der Tatsache, dass ich doch davonkam, bezeichne ich ihre Arbeit als lam lam lam.«
Meine Frau und ich waren begeistert. Seitdem lebt die Poesie in unserem Haus und in unseren Herzen.
Каминер В. .: Meine russischen Nachbarn / 71
Die Kirche
Genau wie ich war Andrej absolut zufällig in Berlin gelandet. Sein Erscheinen hier war kein sauber geplanter Karriereschritt, sondern Ergebnis dunkler politischer Machtspiele im Bundestag. Dazu gehörte die Diskussion über »Kinder statt Inder«, die Deutschland zu diesem Zeitpunkt erschütterte. Plötzlich hatte das Land zu wenig Computerspezialisten, und die Bundesregierung überlegte, wer auf die Schnelle einspringen könnte - die preiswerten zuverlässigen Inder oder teure, aber dafür hundertprozentig deutsche Kinder. Es kamen weder die einen noch die anderen: Die Inder hatten zu tun, und die Kinder blieben bis auf weiteres in ihren Kitas. Also bewarben sich die Russen um den Job. Andrej bekam ein verlockendes Angebot von einer internationalen Firma mit Sitz in Berlin.
In einer Nacht-und-Nebel-Aktion packte er und fuhr nach Berlin, in der Hoffnung auf ein neues spannendes Leben im Ausland. Erst nach einem Jahr in Berlin dämmerte es ihm langsam, wo er eigentlich
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gelandet war, und er fing an zu meckern. Ständig verglich er seine Berliner Existenz mit seinem früheren Leben in St. Petersburg. Er konnte die Reize der deutschen Hauptstadt nicht erkennen. Nichts gefiel ihm außer seinem Gehalt: Die Wurst schmeckte nicht, die Wirte waren unfreundlich, die Häuser schlecht gebaut, die Frauen schlecht gelaunt. Selbst die Badewanne in seiner WG war ihm zu klein, er konnte sich kaum darin bewegen. Auch das Autofahren in Berlin klappte irgendwie nicht: Kaum setzte er sich ans Steuer und gab Gas, schon hielt ihn die Polizei an.
»Man kann sich hier nirgendwo wild amüsieren«, beschwerte sich Andrej bei uns in der Küche.
Dann kam der Winter, für uns immer die Urlaubszeit, und er wollte unbedingt nach St. Petersburg.
»Ich kann es nicht erwarten, meine alten Freunde dort wiederzusehen«, meinte er.
Zwei Wochen später trafen wir uns alle in Berlin wieder. Meine Frau und ich hatten uns gut erholt, aber unser Freund sah völlig fertig aus. Er konnte nicht gerade stehen, lief immer gebückt und mit deutlichem Linksdrall und war für zwei Wochen krankgeschrieben. Voller Entsetzen erzählte uns Andrej von den wilden Nächten, die er in St. Petersburg verbracht hatte. Er hatte seine Freunde getroffen, viel war in seiner Abwesenheit passiert. Der arme Physiklehrer hatte sich bei Coca-Cola als Verkaufsleiter beworben und den Job auch bekommen. Schnell war er reich geworden. Der scheue Grafikdesigner hatte eine Achtzehnjährige in einer Bar kennengelernt, hatte sie geheiratet und war unglücklich geworden. Die Exfreundin von Andrej hatte sich in einen orthodoxen Religionsfanatiker verliebt, der ein Tätowierungsstudio in St. Petersburg betrieb. Dort bot er allen Gläubigen zu einem gerechten Preis schöne Tätowierungen mit religiösen Motiven an. Der Religionsfanatiker erwies sich als so netter Kerl, dass er nach der zweiten Flasche Wodka in Andrejs Freundeskreis aufgenommen wurde.
Andrej hörte sich all diese Geschichten an und bekam das Gefühl, im westlichen Ausland zu verfaulen. Er konnte kaum etwas Aufregendes über sein Leben in Berlin erzählen - es stagnierte vor sich hin, während es bei seinen Freunden mit Volldampf vorangegangen war. Eine Woche verbrachten sie im Suff. Dann musste Andrej wieder nach Berlin zurück. Am letzten Abend schlug ihm der Religionsfanatiker vor, sich kostenlos eine Tätowierung bei ihm im Studio verpassen zu lassen, zur Erinnerung an ihre wunderbare Begegnung. Der Coca-Cola-Manager, Andrejs Exfreundin und der unglücklich verheiratete Grafikdesigner waren von der Idee begeistert. Warum eigentlich nicht, dachte Andrej. Ein nettes kleines
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Tattoo kann nicht schaden. Sie nahmen einige Flaschen Wodka und fuhren noch in derselben Nacht ins Studio. Der Meister bot Andrej das beste Piece aus seiner Sammlung an: die Kirche des heiligen Wladimir. Das riesengroße Gebäude mit fünf Kuppeln passte gerade so auf Andrejs Rücken. Andrej war verzweifelt.
»Um ein solches Gemälde auf meinen Rücken zu tätowieren, werden wir bestimmt drei Tage brauchen«, wandte er ein.
»Das ist eine Sache von drei Minuten«, beruhigte ihn der Religionsfanatiker. »Ich arbeiten nämlich nicht mit der Maschine, sondern nach einem von mir persönlich entwickelten Verfahren. Ich nenne es ›Schocktätowierung‹. Dabei wird ein von Hand gefertigtes Muster auf deinen Rücken gepresst - zack und fertig!«
Stolz zeigte der Tattoomeister Andrej ein Brett, aus dem Hunderte von Stahlnägeln herausragten. Zusammen bildeten sie die Kirche des heiligen Wladimir. Andrejs Freunde waren von der Idee begeistert.
»Natürlich wird es für dich ein Schock sein, ein bisschen Schmerz, ein wenig Leiden. Aber dafür wirst du dann noch lange an dieses religiöse Ereignis erinnert«, meinte der Religionsfanatiker.
»Wir werden dich mit Wodka betäuben, damit du nicht in Ohnmacht fällst«, beruhigten die Freunde Andrej.
Er legte sich auf die Couch. Der Tattoomeister trug die Farbe auf die Nägel auf. Dann gab er Andrej ein Schnapsglas, desinfizierte mit dem Rest des Alkohols seinen Rücken und presste das Nagelbrett mit voller Kraft darauf. Der Schmerz war so stark, dass unser Freund für einige Minuten das Bewusstsein verlor. Als er wieder zu sich kam, stellte er fest, dass er sich nicht mehr richtig bewegen konnte. Wahrscheinlich war bei der Prozedur irgendein Rückennerv verletzt worden.
In der Badewanne fiel Andrej beinahe ein zweites Mal in Ohnmacht, als er im Spiegel seinen Rücken sah. Dem betrunkenem Tattoomeister war ein fataler Fehler unterlaufen: Er hatte das Brett falsch aufgesetzt und die Kirche verkehrt herum auf den Rücken gedrückt - mit den Kuppeln nach unten. Nun sah sie wie eine riesige fünfbeinige Krake aus, und war als Kirche überhaupt nicht mehr erkennbar. Zuerst wollte Andrej dem großen Meister die Fresse einschlagen, doch Letzterer saß volltrunken in seiner Werkstatt und war nicht ansprechbar. Am nächsten Tag verließ Andrej seine Heimat und flog zurück nach Berlin. Verfluchtes St. Petersburg! Sein Rücken sei nun hoffnungslos versaut, meinte er. Die Ärzte hätten ihm zwar gesagt, dass sie ihm ein Implantat aus Kunststoff annähen oder ein Stück Haut aus seinem Hintern verpflanzen könnten, aber das sei tierisch teuer und auch nicht ungefährlich.
»Wäre ich nur mit euch nach Teneriffa gefahren, dann wäre das alles nicht passiert«, seufzte er bedrückt. Und wir gaben ihm Recht.
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Blauwürste und Dame mit Hut
In Dezember beschlossen Sergej und ich mit seinem Auto einen Ausflug nach Charlottenburg zu unternehmen, um einen alten Freund von mir zu besuchen. Thomas, ein ehemaliger Theaterkollege von mir, hatte sich ein Jahr zuvor von der Kunst verabschiedet und als Geschäftsführer ein Restaurant in der Nähe des Savignyplatzes übernommen. Seitdem langweilte er sich zu Tode. Jedes Mal, wenn ich ihn besuchte, erzählte er mir, wie toll dieses Lokal früher gewesen wäre - das einzige Restaurant in der Stadt mit echter fränkischer Küche im Angebot: blaue gekochte Bockwürste in Apfelsud und dazu erlesene Weine.
»In den Zwanzigerjahren wurden hier sogar Wohltätigkeitskonzerte veranstaltet, und jede Menge berühmte Musiker traten hier auf. Heute kommen nur noch drogenabhängige Punker mit ihren Gitarren bei uns vorbei. Sogar die Touristen meiden uns und fahren inzwischen nach Ost-Berlin«, beschwerte sich
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Thomas.
»Ost-Berlin ist heute in«, bestätigte Sergej, der neuerdings nur in Reimen Deutsch sprechen konnte. Wir saßen alle drei an einem Ecktisch, draußen leuchteten Girlanden, die ganze Stadt verwandelte sich unaufhaltsam in einen einzigen Weihnachtsmarkt.
Das Restaurant war an dem Abend leer, nur zwei Rentner nippten an ihren Kaffeetassen, und ein junges Pärchen besprach seine interne Beziehungssituation. Keiner interessierte sich für Thomas’ blaue Würste. Da ging die Tür auf, und eine Frau betrat das Lokal. Sie trug ein langes schwarzes Kleid unter dem Mantel und hatte einen riesengroßen Hut auf dem Kopf, als käme sie aus einer anderen Zeit, oder als hätte der Fundus der Komischen Oper seine Garderobe zu Weihnachten verramscht.
»Ich habe Hunger«, sagte sie zu Thomas, »was würden Sie mir empfehlen?«
Thomas empfahl ihr natürlich die blauen Würste, dazu einen Rotwein und Pflaumenkuchen zum Dessert. Die Frau aus den Zwanzigerjahren aß alles auf, trank anschließend noch einen Cognac und weigerte sich dann zu bezahlen. So etwas passierte Thomas zum ersten Mal. Zwar war es schon mehrmals vorgekommen, dass Kunden weggelaufen waren, ohne ihre Rechnung zu begleichen, doch diese Frau hatte nicht vor wegzulaufen.
»Ich zahle nie«, wiederholte sie nur immer wieder, »das lehne ich prinzipiell ab.«
Thomas war aufgeschmissen. Die Frau lächelte ihn freundlich an und fragte, ob er vielleicht eine Zigarette für sie habe. Er riet ihr stattdessen mit bösem Gesicht, die Rechnung zu bezahlen: »Sonst werde ich die Polizei alarmieren!«
»Tun Sie, was Sie für richtig halten, ich zahle nie«, wiederholte die Dame.
Thomas ging zum Telefon, kehrte dann aber wieder zu der Dame zurück. Er hatte keine Lust auf die Polizei.
»Überlegen Sie es sich noch einmal gründlich, das kann nämlich schlecht für Sie ausgehen!«, warnte er.
»Junger Mann«, sagte die Dame, »brüllen Sie mich nicht so an, alarmieren Sie von mir aus die ganze Stadt, ich werde nicht weglaufen. Kann ich noch einen Rotwein haben?«
»So eine Frechheit!«, rief Thomas verzweifelt und telefonierte dann doch mit der Polizei.
Alle Gäste starrten nun die Dame mit dem Hut an. Sie benahm sich sehr gelassen, als täte sie so etwas jeden Tag. Wahrscheinlich tat sie das auch. Einer der Rentner gab ihr eine Zigarette. Die Polizei kam und kam nicht. Thomas wurde immer nervöser und drehte in seinem Restaurant sinnlose Kreise. Die Dame strahlte währenddessen weiter
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Freundlichkeit aus. Eine halbe Stunde verging.
»Regen Sie sich nicht so auf«, beruhigte sie Thomas, »sie kommen schon noch - früher oder später. Die Polizei hat heutzutage viel zu tun.«
»Zahlen Sie lieber Ihre Rechnung!«, erwiderte Thomas, »und wir gehen als Freunde auseinander.«
»Freundschaft hat mit Geld nichts zu tun«, konterte die Frau. »Wenn wir uns dem Kapital unterordnen und nur über Rechnungen miteinander kommunizieren, dann werden wir bald den Rest unserer Menschlichkeit verlieren und zu Tieren herabsinken«, erklärte sie und starrte an die Decke.
»Das stimmt«, bestätigte einer der Rentner aus der Ecke und bot der Dame noch eine Zigarette an. »Ich heiße übrigens Johannes«, sagte er.
»Aber Sie haben doch meine Würste gegessen«, widersprach Thomas, »einfach so! Ist das etwa menschlich?«
»Ich habe mich dafür bedankt«, konterte die Frau.
Noch eine halbe Stunde verging, die Polizei war immer noch nicht da. Sergej und ich warteten fasziniert, wie diese kleine Revolution ausgehen würde.
»Möchten Sie vielleicht einen Rotwein?«, fragte Thomas die Dame. »Nein, lieber ein Mineralwasser, aber ohne Kohlensäure«, sagte sie. Da ging die Tür auf, und ein Polizistenpärchen kam herein. Der
weibliche Polizist bezog Stellung an der Tür, der männliche Polizist ging auf Thomas zu.
»Probleme?«, fragte er.
Thomas saß zusammen mit der Dame und dem Rentner Johannes am Tisch und trank einen Schnaps nach dem anderen.
»Entschuldigung, es war ein Fehlalarm«, sagte er zu dem Polizisten. »Wissen Sie was so ein Einsatz kostet?«, regte sich der Polizist auf.
»Und wer zahlt das?«
»Ich werde nichts bezahlen«, brachte sich die Dame wieder ins Gespräch. »Aus Prinzip.«
Der Polizist schimpfte noch ein bisschen, dann verließ er mit seiner Kollegin das Lokal. Die Dame wollte auch gehen.
»Kommen Sie wieder«, sagte Thomas zu ihr.
»Ach, ich weiß nicht so recht, vielleicht im nächsten Jahr«, kokettierte die Dame.
»Hier ist was los«, freute sich mein Nachbar.
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Was mir mein Nachbar über weißrussisches Bibergeil erzählte
Jedes Land hat einen Vogel oder ein anderes Tier, auf das es besonders stolz ist. Es kann unter Umständen auch ein Fisch oder ein Insekt sein, wichtig ist allein, es muss über irgendeine wertvolle Substanz verfügen, eine, die außergewöhnliche Qualitäten besitzt und dadurch die Einmaligkeit und Besonderheit des Landes und seiner Einwohner hervorhebt. Diese besondere Substanz muss Krankheiten heilen können, Menschen von Schmerz und dummen Gedanken befreien oder einfach nur sehr gut schmecken. Auf jeden Fall muss diese Substanz potenzsteigernd wirken, um die notwendige Beachtung der Welt zu gewinnen. Der Markt der besonderen Substanzen hat sich in Laufe der Jahrhunderte kaum verändert, er ist übersichtlich geblieben: Tigerzahn, Affenfötus, Löwenmähne, Adlerschwinge, Eisbein, Bärengalle, Foie gras. Auch Kolibrizungen, die Blase des kaspischen Störs und den Herbstschiss der georgischen Biene kannte und nutzte man bereits zur Zeit der Antike. Schon die
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Griechen und Römer haben sie geschätzt.
Natürlich waren all diese Substanzen schon immer sehr teuer und unglaublich schwierig zu beschaffen. Eine Menge Jäger und Sammler mussten für sie mit ihrem Leben bezahlen. Aber sie hatten keine andere Wahl. Die Historie zeigt, dass ohne eine eigene besondere Substanz kein Land, kein Volk, keine Nation auf Dauer bestehen kann. Warum aber die großen Kulturen der Vergangenheit, das griechische und römische Reich, trotz der vielen Substanzen, die sie besaßen, untergingen, das weiß man erst heute. Ihnen fehlte Bibergeil. Und obwohl Kanada immer wieder mit seinen Bibern angibt, muss hier gesagt werden, dass es richtig geiles Bibergeil nur in Weißrussland gibt. Es wird dort Biberstrahl oder auch »Gold der Sümpfe« genannt.
Der Biber ist der größte Stolz der Weißrussen. Das, was den Franzosen Napoleon, den Amerikanern Washington und den Deutschen, äh, Kohl ist, ist den Weißrussen der Biber. Gleich hinter dem Biber kommt auf der Popularitätsskala der weißrussische Diktator-Präsident Alexander Lukaschenko. Eigentlich heißt der weißrussische Biber »europäischer Biber«, doch weil die Weißrussen nicht in die EU aufgenommen wurden, haben sie ihren Biber umgetauft. Er gilt als Symbol für den Arbeitsfleiß, die Intelligenz und Bescheidenheit der Weißrussen. Er lebt in speziell für ihn eingerichteten Reservaten unter der Schirmherrschaft von Alexander Lukaschenko. Niemand kann dem weißrussischen Biber etwas anhaben. Der Biber hat in Weißrussland ein geiles Leben, je besser es ihm geht, desto mehr Bibergeil kann er produzieren.
Das Bibergeil ist eine stark riechende Flüssigkeit, die die Biber in ihren Hoden haben. Jeder Biber hat Hoden, egal ob Männchen oder Weibchen. Besonders viel Bibergeil wird in der Paarungszeit produziert, wenn die Biber Biberburgen bauen und Familien gründen. Zu dieser Zeit schneiden die Sicherheitskräfte des Präsidenten den Bibern die Hoden ab und sammeln das Bibergeil in speziellen Behältern aus Leder. Davon wird die Hälfte vom Präsidenten persönlich, die andere Hälfte von seinen engsten Mitarbeitern und Familienangehörigen verbraucht. Sie werden nie krank und sehen geil aus. Wenn noch etwas Bibergeil übrig bleibt, wird der Rest nach Westeuropa oder nach Saudi-Arabien für viel Geld verkauft. Nach Amerika will der weißrussische Präsident nichts verkaufen, er mag die Amerikaner nicht.
Die Ernte geht nicht immer glatt. Manchmal streiken die Biber und bringen den Präsidenten in Bedrängnis. Es ist eben viel einfacher, Menschen zu verwalten als Biber, denn die Biber tun, was sie wollen, und hören nie zu.
Letztes Jahr fuhr Lukaschenko mit einer Journalisten-Eskorte in den Sumpf, um die Biberburgen persönlich zu besichtigen. Die Reise
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sollte sein Image als Vater der Nation aufpolieren, ein Vater, der sich um alles, sogar um kleine Tierchen, kümmert. Es wurden auch ausländische Gäste eingeladen und der Sicherheitsdienst des Präsidenten hatte eine Route durch die Sümpfe des Naturparks vorgegeben, die maximale Sicherheit garantierte. Nur die Biber machten nicht mit. Sie hatten ausgerechnet an dem von den Sicherheitsorganen vorgesehenen Ort keine Biberburgen gebaut. Und nun war es zu spät, um die Route zu ändern. Also mussten zwei Kolchosen aus der Region herangezogen werden, um in dem Sumpf auf die Schnelle Biberburgen zu bauen. Die Menschen gaben sich Mühe, doch am Morgen, kurz bevor der Präsident ankam, schwammen die richtigen Biber an den falschen Burgen vorbei, inspizierten sie, befanden die Burgen für schlecht - sie rochen nach Menschenschweiß und Kolchose, nicht nach Bibergeil - und zermalmten sie an Ort und Stelle zu Kleinholz. Bei der Ankunft des Präsidenten schwammen nur noch Holzspäne auf dem Wasser.
Die Biber hatten den Präsidenten vor den Journalisten und ausländischen Gästen total blamiert. Lukaschenko ließ sich nichts anmerken, tobte aber hinter den Kulissen fürchterlich, wie einige Familienangehörige anschließend berichteten. Es wurden Schuldige gesucht und auch gefunden, sie wurden der Spionage und Sabotage bezichtigt und mit der höchstmöglichen Strafe gemäß der weißrussischen Gesetzgebung bestraft. Unter den Beschuldigten war verständlicherweise kein einziger Biber, denn die haben zusammen mit dem Präsidenten in Weißrussland einen Sonderstatus und können tun und lassen was sie wollen.
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Moskauer Sitten
Ich bin ein Moskauer, aber die meisten Freunde von mir kommen aus St. Petersburg oder Weißrussland. Auch mein Lieblingsschriftsteller, mein Lieblingsmaler, meine Frau und neuerdings auch meine Nachbarn kommen von dort. Diese Tatsache macht mich als Moskauer zu einem Außenseiter. Als eingefleischter Moskowiter darf ich eigentlich den Petersburgern nicht einmal die Hand schütteln. Kaum jemand kann noch genau erklären, warum die Bewohner beider Städte einander nicht ausstehen können. Diese Feindschaft hat eine lange Tradition und ist in der Geschichte Russlands tief verwurzelt. Die Moskauer halten die St. Petersburger für arrogant, die St. Petersburger halten die Moskauer für prollig. Selbst nach vielen Jahren in Berlin, werde ich von meinen Nächsten oft mit solchen Ausdrücken wie »typisch Moskauer« oder »dieser Moskauer Dialekt« gehänselt.
Ich bin kein großer Patriot und habe nichts gegen St. Petersburg. Es ist eine schöne Stadt, ein wenig muffelig vielleicht, außerdem gehen die Brücken ständig auf und zu, die Bewohner sind unglaubliche
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Angeber, der See ist dreckig, das Wetter das ganze Jahr über beschissen, das Nachtleben provinziell. Aber sonst finde ich St. Petersburg völlig in Ordnung. Nur diesen ewigen Hohn Moskau gegenüber, der schönsten aller russischen Städte, kann ich nicht nachvollziehen. Auch viele Deutsche scheinen ein falsches Bild von Moskau zu haben.
»Lieber Herr Kaminer«, stand neulich in einem Brief, »hier ist ein Thema, das ich Ihnen gerne vorschlagen würde für Ihre literarische Arbeit. Es geht dabei um Moskauer Manieren. Als ich vor kurzem dort war, ist mir aufgefallen, dass alles, was bei uns unter Servicebewusstsein, Dienstleistungsmentalität und ähnlichen Begriffen läuft, in Moskau nur rudimentär entwickelt bzw. überhaupt nicht vorhanden ist. Diese versteinerten Mienen der Bedienungen in Läden, Supermärkten, an der Museumskasse oder im Restaurant. Ich weiß nicht, ob die allgemeine Misslaunigkeit vor allem Touristen oder nicht russischsprachige Menschen erfahren, glaube es aber fast nicht. Meine Kollegen, deutsche Korrespondenten und Journalisten, die ich in Moskau getroffen habe, waren die Griesgrämigkeit so gewöhnt, dass sie sie kaum noch wahrnahmen.«
Ich schrieb dem Absender zurück:
Als gebürtiger Moskauer kann ich Ihnen da nur zustimmen. Obwohl ich schon seit zwölf Jahren in der weltoffenen Metropole Berlin lebe, habe ich ständig mit der mir anscheinend angeborenen Grimmigkeit zu kämpfen. Es fällt mir schwer, freundlich zu lächeln. Ich vergesse manchmal »Bitte« und »Danke« zu sagen, und wenn ich meine Nachbarn im Treppenhaus grüßen will, sind sie normalerweise schon über alle Berge. Hin und wieder neige ich sogar zu grob sittenwidrigen Handlungen und werde dann von meinen Nachbarn und meiner Frau, alles gebürtige St. Petersburger, zu zivilisiertem Verhalten angehalten.
Die schwierige Last der Moskauer Manieren trage ich schon mein ganzes Leben lang und erkenne daher einen Landsmann immer schon von weitem. Ob in Lettland oder in der Ukraine, in Kasachstan oder Moldawien, überall zeigen die Menschen sofort mit dem Finger auf einen und sagen ihren Kindern: »Schau mal da - ein Moskauer. Der sieht nicht gut aus.«
Sich über Moskauer Sitten zu beschweren hat eine lange Tradition und ist inzwischen selbst in Russland eine Selbstverständlichkeit geworden. Beinahe alle berühmten Schriftsteller und Dichter haben sich über dieses Thema ausgelassen. Sie beschreiben die schrecklich bäuerlichen Moskauer Manieren, seit es Literatur gibt. Historiker berichten, dass der unaufhaltsame Sittenverfall und die kontinuierlich steigende Alltagskriminalität in dieser Gegend bereits im elften Jahrhundert ein großes Thema war, als es Moskau noch gar
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nicht richtig gab. Sogar Tschingis Khan, der etwas später die halbe Welt eroberte, hatte von den Moskauer Sitten schnell die Nase voll und verzichtete gelegentlich sogar auf die Schutzgeldzahlungen, nur um nicht schon wieder dorthin reiten zu müssen.
Auch viele meiner Freunde und Bekannten mögen diese Stadt nicht. Meine Freunde Sergej und Andrej zum Beispiel, der eine ein geborener St. Petersburger, der andere ein Weißrusse, die heute wie ich in Berlin leben, regen sich jedes Mal fürchterlich auf, wenn sie in Moskau sind. Fast überall fühlen sie sich beleidigt und verletzt und beschweren sich anschließend bei mir. Am Zeitungsstand in Moskau sagt die Verkäuferin niemals »Hallo«. Sie kuckt so finster aus ihrem Häuschen, als wäre der Kiosk ihr Panzer und sie eine Kanone, die gleich Feuer spuckt. Sie wird einen Kunden niemals fragen, was für eine Zeitung er denn gerne hätte. Das ist ihr nämlich scheißegal. Wenn sie einen schlechten Tag hat, kriegt der Kunde gar nichts. Wenn sie aber gut drauf ist, kann er alle Zeitungen umsonst bekommen, einfach so! Weil wir Moskauer eigentlich total freundlich und intelligent sein können. Und höflich! Nur nicht jeden Tag. Und wir lachen nicht über jeden Witz. Und man kann ein anständiger Mensch sein, ohne jedem ständig mit »Bitte« und »Danke« auf die Nerven zu gehen.
Weil wir Moskauer so sensibel sind, brauchen wir unsere schlechten Manieren, um uns zu schützen. Denn was ist diese heißbegehrte Service-Mentalität, wenn nicht eine Lüge? Und was sind die Höflichkeitsgesten in einer Gesellschaft wert, wo jeder eh nur um seinen Bauchnabel kreist. Dafür können die grimmigen Moskauer mitten im Winter in einen Fluss springen, um einen herrenlosen Hund an Land zu ziehen, ihn anschließend füttern und verwöhnen, weil die Liebe die Welt errettet. Und ihn am nächsten Tag wieder in den Fluss werfen, weil das Ganze sowieso keinen Sinn hat.
Die allgemeine Unzufriedenheit liegt in der Natur meiner Landsleute. Deswegen gibt es so gut wie nie gutes Wetter in Moskau. Es ist immer entweder zu heiß oder zu kalt, zu trocken oder zu regnerisch.Wenn die Moskauer über ihre Arbeit reden, ist es in der Regel eine Scheißarbeit, die außerdem schlecht oder gar nicht bezahlt wird. Die Moskauer gehen ungern aus, sie haben keinen Bock auf Theater und interessieren sich nicht für Ballett. Ich kenne auch keinen einzigen Moskauer, der schon einmal im Mausoleum war. All diese Menschen, die in den Kinos und Theatern sitzen oder in der Schlange vor dem Lenin-Mausoleum stehen, sind Zugezogene, St. Petersburger oder Ausländer. Eigentlich zählen alle als Ausländer, die nicht seit dem elften Jahrhundert in Moskau leben. Sie werden von den echten Moskauern verachtet. »Wo kommt ihr nur alle her? Geht weg da!«, schrie immer eine alte Oma aus unserem Haus, die extra
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