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Добавлен: 21.12.2020
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erlernen. Michael beschreibt Hanna hätte „den Schritt aus
Unmündigkeit zur Mündigkeit getan, einen aufklärerrischen Schritt.“
(S. 178). Hanna empfindet für diesen Erfolg Stolz, der allerdings in
Michael nicht die erwartete Freude und Bewunderung bringt, wie er
selbst feststellt (S. 187).
Mit ihrer neu erworbenen Fähigkeit widmet Hanna sich ihrer dunklen
Vergangenheit: „(..) und dann hat sie mich (..) gebeten, ihr Bücher
über Frauen in KZs zu nennen, Gefangene und Wärterinnen.“, erklärt
die Direktorin der Haftanstalt das Interesse Hannas (S.194).
Allerdings hat Hanna sich nicht nur mittels Literatur mit ihrer
Vergangenheit konfrontiert, sondern auch ganz speziell mit dem
Vorwurf beschäftigt, dass sie als KZ-Wärterin den KZ-Gefangenen,
die in der angezündeten Kirche eingesperrt waren, jegliche Hilfe –
obwohl es ihr laut Gericht möglich gewesen wäre – verweigert hätte.
„Hier im Gefängnis waren sie [die Toten] oft bei mir.“ Versucht Hanna
dies zu verdeutlichen (S. 187). Das Resultat dieser eingehenden
Beschäftigung zeigt im ersten Gefängnisgespräch zwischen Hanna
und dem Erzähler besondere Wirkung. Sie stellt fest, dass weder das
Gericht noch sonst jemand das Recht hat für ihre Vergangenheit
Rechenschaft zu fordern, aber die Toten diese fordern könnten
(S.187).
Trotz dieser teilweise auch positiven Veränderungen, die in Hanna
vorgehen nimmt Hanna sich das Leben. Grund dafür ist unter
anderem auch die mangelnde Perspektive für ihre Zukunft. So ist sie
innerlich immer noch so darauf bedacht, keinen wissen zu lassen,
dass sie noch teilweise zu den Analphabeten zählt, da die Schrift noch
nicht flüssig ist, und auch das Lesen noch nicht so einfach ist. Als
Michael Hanna das erste mal in der Haftanstalt besucht sitzt sie mit
dem Buch in den Händen auf der Bank, beobachtet aber über den
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Rand der Lesebrille hinweg die Frau, die den Vögeln Brotkrummen
zuwirft (S. 184).
Zu diesem Zeitpunkt fehlt ihr überhaupt die Kraft, die nötig ist um
sich eine neue Existenz aufzubauen. Zwar hat sie „ihren Ort neu
definiert“, wie die Leiterin feststellt (S. 197), hat dies aber in einer
sehr kraftlosen und ergebenen Weise getan. Dabei beschränkt Hanna
ihre Tätigkeit nur auf das aller Nötigste. Ihr neudefinierter Ort ist ein
Ort wo „Aussehen, Kleidung und Geruch keine Bedeutung mehr
haben.“ Wie Haftanstalt-Leiterin betont (S. 197). Sie benötigt all ihre
Kraft um sich mit ihrer Vergangenheit auseinander zusetzen zu
können.
Um ihren Ort tatsächlich, für sie in vorteilhafter Weise, neu definieren
zu können, hätte Hanna eine starke Stütze gebraucht. Doch sie muss
erkennen, dass selbst Michael ihr keine hilfreiche Stütze sein kann,
was er auch selbst feststellen muss: „(..) wenn sie [Hannas Briefe]
mich nicht einmal dazu hatten bringen können, ihr zu antworten, sie
zu besuchen, mit ihr zu reden.“ (S. 187). Äußerlich hilft er ihr
durchaus wie zum Beispiel durch die Beschaffung der Wohnung und
der Leerstelle (S. 182/183). Doch Hanna braucht mehr als das, sie
braucht das Gefühl akzeptiert und verstanden zu sein. Gegenüber
Michael äußert sie ihren Unmut darüber: „Ich hatte immer das
Gefühl, dass ohnehin keiner versteht, dass keiner weiß, wer ich bin
und was mich hierzu und dazu gebracht hat.“ (S. 187).
Aber nicht nur das ist es, was Hanna zu schaffen macht, sondern
auch ihr schlechtes Gewissen, das sich durch die Beschäftigung mit
ihrer Vergangenheit wieder „zu Wort gemeldet hat“. Dieser
psychische Druck ist schließlich so belastend, dass dieser mit ein
schwerwiegender Grund für Hannas Suizid ist.
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Die emotionale Last, die auf Hanna lagert, wäre lange nicht so
schlimm gewesen, wenn es ihr möglich gewesen wäre ihre Gedanken
und Gefühle anderen Personen mitzuteilen. Doch Michael antwortet
nicht auf die Briefe, die Hanna ihm schreibt, und wirkt weder
verständnisvoll noch glaubwürdig gegenüber Hanna. Während des
ersten Gesprächs in der Haftanstalt stellt sie zweifelnde Fragen an
Michael, die dieser nur sehr unglaubhaft beantworten kann: „ ‚Damit
[mit dem Vorlesen] ist jetzt Schluss, nicht wahr?’ – ‚Warum soll damit
Schluss sein?’ Aber ich sah mich weder Kassetten für sie sprechen
noch ihr begegnen und ihr vorlesen.“ Hanna fühlt sich also während
des gesamten Zuchthaus-Aufenthalts mit ihren Gefühlen alleine
gelassen, womit ihre psychische Belastung drastisch zunimmt.
Zu dieser Last gehört unter anderem auch, dass Hanna sich den
Toten einer Rechenschaft schuldig fühlt – sie hat sich Nacht für Nacht
mit ihrer Schuld und der Forderung nach Rechenschaft
auseinandergesetzt: „Sie [die Toten] kamen jede Nacht, ob ich sie
haben wollte oder nicht.“ (S. 187). Später äußert Hanna das Ergebnis
ihrer schlaflosen Nächten gegenüber Michael: „(..) Auch das Gericht
konnte nicht Rechenschaft von mir fordern. Aber die Toten können
es.“ (S. 187).
Der Selbstmord scheint in Hannas Situation die einzige Lösung. Aber
man kann vermuten, dass der Suizid eine Art Hannas war
Rechenschaft gegenüber den Toten abzulegen.
Das Buch bietet aber noch viele weitere interessante Themen, über
die es sich lohnt nachzudenken. Man kann für sich selbst und auf mit
einem Blick auf seine eigene Vergangenheit sicherlich einige neue
Erekenntnisse erlangen.
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Literaturverzeichnis:
Bernhard Schlink – „Der Vorleser“,
erschienen im Diogenes Verlag, 1997