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Marie Hagemann
Schwarzer,
Wolf,
Skin
Thienemann
Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme
Hagemann, Marie:
Schwarzer, Wolf, Skin/Marie Hagemann. –
Stuttgart; Wien: Thienemann, 1993
ISBN 3 522 16839 9
Umschlaggestaltung: Hubert Stadtmüller
Satz: KCS GmbH in Buchholz
Reproduktion: Dreher Repro in Stuttgart Druck und Bindung: Clausen & Bosse in Leck
© 1993 by K. Thienemanns Verlag in Stuttgart – Wien Printed in Germany. Alle Rechte vorbehalten.
Wolf Schwarzer – Schwarzer Wolf
Er ist halt ein Schwarzer Wolf, stark, schwarz, gefährlich. Er fühlt sich wohl in der Gruppe. Hier findet er die Geborgenheit, die er zu Hause vermißt. Da ist Verbundenheit, wie er sie bis jetzt noch nie gespürt hat. Vor allem mit Andy, dem Neuen. Der ist irgendwie etwas Besonderes. Wenn alle so eine bestimmte Menge Bier drin haben, gehen sie los und machen einen drauf. Randale. Zoff. Ausländer aufmischen. Für Ordnung sorgen. Das macht Spaß.
Fassungslos stehen wir den Gewalttaten der Skinheads gegenüber. Was geht in deren Köpfen vor? Wir erfahren es mit Wolfs Geschichte. Marie Hagemann schildert aus seiner Sicht, wie er zu den Skinheads kam, was er dort erlebt und fühlt. Dadurch entsteht eine Unmittelbarkeit, die nur deshalb möglich ist, weil sich die Autorin im Vorfeld so eingehend mit authentischen Fällen auseinandersetzen konnte.
Wolfs Geschichte ist Realität. Marie Hagemann hat sich aber nicht darauf beschränkt, einen Einzelfall zu schildern. Vielmehr deckt sie mit Wolfs Geschichte nicht nur die beklemmenden Hintergründe und Zusammenhänge auf, sondern führt uns auch das nicht nachvollziehbare Denken und Handeln der Skinhead-Bewegung vor Augen.
Marie Hagemann ist ein Pseudonym Dahinter verbirgt sich eine bekannte Autorin. Da sie während ihrer Recherchen mehrfach bedroht wurde, kann sie dieses Buch nicht unter ihrem richtigen Namen veröffentlichen.
Diesem Buch liegen authentische Fälle zugrunde, die sich in den letzten Jahren in verschiedenen Städten der Bundesrepublik Deutschland ereignet haben. Die Autorin hat das authentische Material zu einem Fall zusammengezogen, aber dennoch nicht überzeichnet. Dabei ging es nicht darum, bestimmte Personen zu entlarven, sondern ausschließlich Haltungen und Handlungsweisen aufzuzeigen, die symptomatisch für die Skinszene sind. Bei den abgedruckten Liedern handelt es sich um Originaltexte. Bewußt haben der Verlag und die Autorin darauf verzichtet, das Geschehen zu kommentieren und so den eigenen Standpunkt mit einzubringen – so schwer es allen Beteiligten auch fiel. Die brutale Realität muß für sich sprechen. Sie spricht gegen die alten und neuen Verführungsmechanismen. Sie deckt die erschreckende Orientierungslosigkeit unserer Gesellschaft auf. Sie verdeutlicht die Vielschichtigkeit der Ursachen für die Auswüchse, denen wir fassungslos gegenüberstehen. Diese Vielschichtigkeit gilt es nicht nur aufzuzeigen, sondern zu begreifen.
Stuttgart, im Frühjahr 1993
1
»Schwarzer Wolf«, sagte einer aus dem Hintergrund. Nur so aus Jux.
»Echt stark!« Jon strich mit der Hand über die Bahn, die er mit der Haarschneidemaschine gerade abrasiert hatte. Mitten über meinen Kopf lief eine völlig kahle Bahn. Sah witzig aus.
»Schwarzer Wolf.« Ich schaute in den Spiegel. Ich sah mich an. Mein richtiger Name ist Wolfgang Schwarzer. Aber alle sagen zu mir: »Schwarzer Wolf«. Ich habe schwarze Augen. Schwarze Jeans. Meine Bomberjacke. Bin halt ein Schwarzer Wolf: stark, schwarz, gefährlich, saugut eben.
»Jetzt noch die Seiten«, sagte ich zu Jon und strich mir ein letztes Mal über meine Stoppelhaare, die gleich weg sein würden.
Die Musik drehte voll auf. Ich steh nicht so auf Rap. »He, haste nicht mal was anderes als diese ätzende Jammermusik?«
»Schon gut«, murmelte Fried von hinten, »schon gut.«
Ich weiß, daß Fried voll auf Rap steht. Aber wir andern, wir hören lieber »unsere« Lieder. Fried ist einer von denen, die lieber die Schnauze halten, statt ‘ne eigene Meinung zu haben. Auf jeden Fall bei uns. Ausnahme ist die Musik. Da steht er voll drauf. Kann der wahrscheinlich gar nicht, den Mund aufmachen. Der wird immer rot und stottert los. Das Reden, das hast du gelernt oder nicht. Und Nicker, die die Schnauze halten, muß es ja auch geben. Der braucht immer einen, der ihm sagt, wo’s langgeht, der Fried. Und dann ist er auch top drauf. Macht alles mit. Er spielte ‘ne neue Musik an:
Er ist ein Skinhead und Faschist. Er hat ‘ne Glatze und ist Rassist. Moral und Herz besitzt er nicht.
Haß und Gewalt zeichnen sein Gesicht. Er liebt den Krieg und liebt die Gewalt,
und bist du sein Feind, dann macht er dich kalt.
Das Lied paßte. Das Instrumental war geil.
»Hey, Jungs, schaut mal!« Ich strich mir über den Kopf. Alles blank.
Im Spiegel mein Gesicht: die breiten Backenknochen, die breite Nase – als wenn sie einer platt gemacht hätte. Ich bin groß und stark. Gut gebaut. Gegen mich kommt keiner so schnell an. Ich muß überall aufräumen. Kurz und bündig die andern plattmachen, wenn sie was wollen. Macht Spaß. Die meisten verziehen sich schon, wenn sie mich sehen oder wenn ich mal eben so meine Faust hochhebe. Das reicht. Macht Spaß, wenn die andern Angst haben! Wenn sie schreien und wegrennen. Macht Jux. Echt geil, Mann.
Moral und Herz besitzt er nicht, kam gerade aus dem Recorder.
»Wer geht mit zum Bahnhof? Saufen und Türken anmachen. Nur so ‘n bißchen kitzeln«, rief ich. »Ich geb einen aus.« Wolf Schwarzer, Skinhead! Ich strich mir über meinen Kopf. Immer wieder. Echt stark, das Gefühl. Ich zog an meinen Hosenträgern, angelte die schwarze Bomberjacke vom Haken. Auf der Brust ein Schild: Ich hin stolz, ein Deutscher zu sein.
Das hatte ich mir vor einem Monat zugelegt. Stimmt nicht ganz. Der alte Motte, Dolfs Vater, hatte es uns zu Führers Geburtstag geschenkt. Echt guter Typ. Hat so ‘n Gefühl für uns, der Alte.
Stolz, ein Deutscher zu sein! Steh ich eigentlich gar nicht voll dahinter, bin nämlich kein Rep oder so, aber mit der Zeit
kommst du da von selbst hin, bei uns auf jeden Fall! Dann ziehen wir durch die Straßen, singen unsere Lieder. Da ist Verbundenheit, wie ich sie bis jetzt noch nie gespürt hab.
Und dann begegnest du den Türken. Davon wimmelt’s ja bei uns. Die fühlen sich natürlich immer sofort angegriffen. Erst ein bißchen kitzeln. Und je mehr du gesoffen hast, desto kräftiger wird geschlagen, bis die Bullen kommen.
Die Rechten wollen uns am liebsten in ihrer Partei. Aber so weit geht’s nicht, nicht bei mir und meinen Kumpels. Wir wollen Zoff!
Wir haben natürlich auch Zoff untereinander, klar. Wird mal getreten. Dann kriegste eben eins in die Schnauze. Das gehört dazu.
Hatte schon zwei Bier. Nach dreien fühl ich mich immer toft. Andy ist mitgekommen, die andern wollten später nachkommen. Jon wollte ihnen noch die Köpfe rasieren. Eigentlich ein bißchen gefährlich, nachts zu zweit zu laufen. Vor allem, wenn man loszog, um Türken zu kitzeln. Schließlich hatten wir das Gesocks in letzter Zeit nicht schlecht aufgemischt. Aber wir paßten schon auf! Wir standen im Dunkeln, Andy und ich, die Flasche am Hals. Guckten rum. Nur so.
Da wurde der Andy plötzlich von hinten gepackt. Türken, Hundesöhne. Sofort kreisten sie uns ein. Verflixt, daß wir nicht auf die andern gewartet hatten! Zu zweit schafften wir das nicht. Das waren wohl fünf. Aber wo war Andy? Ich sah ihn nicht mehr. Ich griff in meine Tasche, wollte mein Klappmesser packen, aber da hatten mich schon zwei von hinten im Griff.
»Solln wir dir den Hals auch mal ein bißchen rasieren? Ein bißchen rasieren?« sagte einer in seinem saublöden Türkenjargon. Ein mittelgroßer Schwarzhaariger mit dreckigem Gesicht zog sein Messer genüßlich aus der
Gesäßtasche und hielt es mir unter die Kehle. Mir fiel nichts ein. Echt nicht. Angst hatte ich. Die Gurgel schnürte sich zu.
»Oder Ohren, Ohren ab«, sagte ein anderer. Sie hielten das Messer dran. Sie lachten.
»Haut ab, ihr Schweine!« Ich ging dabei rückwärts, trat einem auf die Zehen. Der zog mich von hinten ganz schnell auf den Boden. Und der mit dem Messer hockte sich auf meinen Bauch.
Verdammt, das tat weh. Wer das nicht kennt, der weiß auch nicht, wie weh das tut. Ich roch so ‘ne Knoblauchfahne. Echt Scheiße. Das Gesicht und daß ich hier lag und überhaupt. Scheiße! Hätte ich doch nur meine Bierflasche gehabt, dann hätte ich der Knoblauchfresse eins über den Schädel ziehen können. Ich schaute mich um, aber die Flasche war weggerollt.
Der Ali hielt mir wieder das Messer an die Gurgel. Ich wollte schreien, da schlug mir einer ins Gesicht. Ein anderer steckte mir sein dreckiges Taschentuch in den Mund.
»Schneid ihm die Zunge ab!« sagte noch einer. Da bekam ich echt Angst. Einen Augenblick lang war sie voll da, die Angst. Wenn die mich wirklich kaltmachten…
Auf einmal Stimmen! Die Türken sprangen auf und ließen mich liegen. Ich verstand nichts mehr. Auch die Angst nicht, die ich gerade noch gehabt hatte, und das Messer, das an meinem Hals war.
Es liefen welche hier und da und hin und her. Bullen? Ich schaute hoch.
Fünf Skinköpfe neigten sich über mich. Ein irres Bild. Ein irres Gefühl, wenn du gerade da unten voll im Dreck gelegen hast, dann ist das irre, das Gefühl, das du dann hast.
Sie hoben mich langsam hoch. Das war das erste Mal, daß mir so was passiert war. War auch ein bißchen leichtsinnig von mir gewesen, so allein mit dem Andy loszulaufen. Nachts. Mitten in der Stadt.
Ich schaute mich um. Da war der Andy. »War das gut?« fragte er unsicher.
Ich schaute ihn an, wußte nicht, was der kleine Irre wohl meinte. Ich schaute ihn an von oben bis unten. Ob das gut war, daß ich da unten in der Scheiße gelegen hatte? Das konnte der doch wohl nicht meinen. Aber da sagte Dolf: »Was meinste, wie wir los sind, als der Andy uns geholt hat!« Da kapierte ich. Der Andy war sofort losgerannt, hatte die andern geholt. Wir waren ja wirklich noch nicht weit weg von unserm Bunker gewesen. Der Jon hatte sogar noch sein Rasiermesser in der Hand. »Was meinste, was ich denen alles abrasiert hätte«, sagte er.
Ich schüttelte mich. Alles tat mir weh. Aber das sagte ich natürlich nicht. Hart wie Kruppstahl, sagt mein Vater immer. Obwohl ich verdammt noch mal nicht so werden will wie der Alte. Aber mit dem Spruch hat er recht.
Jon strich mir über den Kopf. Das tat gut. Eigentlich machte er das aber nur, um noch mal zu fühlen, wie blank mein Kopf war. Wir Skins! Tolles Gefühl, wenn alle gleich aussehen. Natürlich nicht ganz.
Jon heißt eigentlich Jonas. Aber so ‘nen heiligen Namen will er nicht. Daher nennt er sich Jon, aber nicht englisch ausgesprochen, sondern das J so wie bei »ja« ausgesprochen. »Deutsch«, sagt er. »Wir können doch nicht schon bei unseren Namen mit dem fremdländischen Gequatsche anfangen.«
Jon ist ungefähr 1,90 Meter groß, hat breite Schultern, aber sonst ist er sehr schmal gebaut. Auch der Schädel ist schmal. Jetzt, wo er ihn blank hat, sieht man das natürlich noch viel deutlicher. Die Nase ist lang, ziemlich groß. Aber gut geschnitten. Jon hat grüne Augen. Die können einen angucken,
daß man sich völlig toft fühlt. Aber wenn er wütend ist, sind sie kalt wie Eisen, wie Stahl.
Jon hat ‘ne Lehre gemacht, aber dann abgebrochen. »Irgendwie war es das nicht«, sagt er. »Jeden Morgen halb acht auf der Matte stehen. Und die vielen Türken, die in der Werkstatt mitgearbeitet haben, die haben mir auch gestunken.« Aber das ist ihm erst richtig klar geworden, als wir zusammen waren, wir Skins. Hat er auf jeden Fall gesagt. »Wenn ich ‘ne dunkle Haut sehe oder wenn einer die Sätze so verdreht, dann fang ich an zu kotzen«, sagt er immer.
Dolf heißt eigentlich Boris, aber er will, daß wir ihn Adolf nennen. Er ist ‘ne Führernatur. Sagt er jedenfalls. Er sagt, wo es langgeht. Jedem. Erklärt nicht lange. »Zuviel Zirkus drum herum bringt nichts. Und sonst eins in die Fresse.«
Eigentlich steh ich da auch drauf, daß das so läuft. Aber ich kann’s eben nicht so sagen wie Dolf. Er ist der einzige, der den Kopf nicht rasiert hat. Hat sich seine Haare so wachsen lassen wie Adolf. Dunkel sind sie und hängen lang in die Stirn. Übt auch manchmal vorm Spiegel den entschiedenen Blick. Und die Stimme. Die hat echt Ähnlichkeit! Er hat uns auch unsern Bunker besorgt. Über seinen Vater. Der steht voll hinter uns, besorgt uns sogar Fahnen und so was. Hakenkreuzfahnen mein ich natürlich. Oder Labels und Aufkleber: Türken raus oder
Deutschland soll deutsch bleiben.
»Sollen wir nicht hinter denen her?« fragte Andy.
»Mir reicht’s für heute.« Mir taten die Knochen schon weh genug. Mein Brustkorb fühlte sich immer noch an, als hätte da eine ganze Kompanie draufgekniet. Ich sagte Andy, daß das heute keinen Zweck hätte. Andy war neu bei uns. Erst seit zwei Wochen oder so. Der wollte natürlich zeigen, daß er was machte. War auch schon toft, wie er gerannt ist und die andern geholt hat.
Andy sah wohl am besten aus von uns allen. Er hatte lange weiche Haare, als er zu uns kam.
»Entweder die oder ich«, hatte sein Vater gesagt und ihm kurzerhand den Koffer vor die Tür gestellt. Sein Vater ist was Hohes, Vornehmes. Rechtsanwalt. »Hat nie Zeit«, sagte Andy. Eigentlich mochte er ihn. War auch der einzige, der von seinem Vater sprach. Auch wohl der einzige, der so einen Vater hatte. »Bonze«, »Rechtsanwalt«, »mein Alter« – das wechselte, wie er von ihm sprach. »Der läßt aber nur das gelten, was er meint«, sagte Andy. »Sonst biste ‘ne Null – und er behandelt dich auch so. Bis er auf einmal wieder Schuldgefühle kriegt oder so, und dann kommt er angewinselt. Will sich kümmern – für zwei Wochen. Echt Scheiße!«
Links angehaucht ist er auch noch, sein Vater. »Allein deswegen bin ich schon rechts, aus Prinzip!« sagte Andy.
Seine Mutter hatte er schon lange nicht mehr gesehen. Er hat in den letzten Jahren bei seinem Vater gelebt. Mit seinem älteren Bruder. Vorher bei seiner Mutter. Der Bruder war wohl unheimlich gut in der Schule. Andy so Mittelklasse. Da hatte er sich neben dem Bruder immer mies gefühlt.
Andy wohnte jetzt in unserm Bunker. Waren wir alle mit einverstanden, denn dann hatten wir den Neuen auch besser im Griff.
Ausländer. Das ist ein Dauerthema bei uns. Im ganzen Land. Ausverkauf haben wir in Deutschland: Asylanten, Kanaken, Straßenbanden. Ordnung muß wieder her. Neger und all das Gesocks gehören aufgeklatscht. Die sind doch selbst schuld, wenn es ihnen so geht. Wir wollen nur Ordnung! Und wir, die Skins, und natürlich auch die Rechten, wir ziehen halt die Konsequenzen und machen was. Und wenn nicht anders, dann mit Gewalt. Sagt Dolf auch immer. Deutschland soll endlich
wieder sauber werden. Deutschland den Deutschen! Da kann ich den Reps nur recht geben. Was sollen wir hier mit Negern und Kanaken und all dem Gesocks? Die sollen sich doch ihre Baströckchen schnappen und in Afrika ihre Humbahumbatänze tanzen. Und die Kanaken sowieso. Da juckt mir die Faust in der Tasche, wenn ich so einen seh. Und die machen unsere deutschen Frauen an.
Fried stieß mich an. Er hatte noch ein Bier für mich. Das konnte ich jetzt gebrauchen, half mir über den Schmerz weg.
Fried ist unser Spaßvogel. Er ist schon 21, der Älteste von uns. Er geht noch ‘zur Schule. »Weil ich so dran hänge«, sagt er immer. Er hat, glaube ich, drei Klassen wiederholt. Er will zur Fachhochschule, sagt er. »Ich will bald Kohle machen. Macht auch Spaß«, sagt er. Alles macht ihm Spaß. Wenn ein Lehrer was erklärt, sagt er: »Seh ich nicht ein.« Einfach so aus Jux, und der arme Vogel erklärt noch mal. »Dann könnt ich mich schieflachen«, sagt er. »Meistens hör ich dann gar nicht mehr zu, aber macht einfach Jux, so das dumme Gesicht zu sehen von dem Lehrer und wie er sich dann abplagt.« So oder so, der macht auch bald seinen Abgang von der Schule.
Dolf ist mal echt wütend geworden, weil Fried seinen Vater auch so hochgenommen hat. Dolfs Vater ist ein echter Rep. Der tut was für uns.
Eigentlich ist für uns alle die Politik nicht so wichtig. Auch Reden, Diskutieren und Nachdenken nicht. Aber wenn der uns schon den Bunker besorgt, dann können wir uns ja auch ein bißchen anhören, was er so meint. Und in vielem geb ich ihm recht. Auch wenn ich ihm nicht immer zuhöre. Ich steh mehr auf Action. Wir alle.
Da war noch einer bei uns. Der war eigentlich mit bei den ersten. Netter Typ. Der widersprach zwar häufiger, wenn einer
was erzählte. Zum Beispiel das mit dem Judenumbringen im Dritten Reich, daß das gar nicht so doll gewesen wäre. Da widersprach er. Sagte, daß man sich doch nicht vierzig Jahre lang geirrt haben kann. Das paßte uns allen nicht. Denn wenn schon, dann muß man doch zusammenhalten. Denken und Widersprechen ist dann nicht angesagt.
Erschien auch nicht wieder, der Typ. Mir egal. Hauptsache, wir tranken einen zusammen. Hörten unsere Musik. Sangen unsere Lieder. Machten was los. Das war ganz wichtig. Dazu alle gleich – gleiche Klamotten, gleich rasierter Kopf. Bierflasche in der Hand, durch die Stadt ziehen und welche anmachen. Randale. Das brachte was. Zoff.
2
Wir sind alle noch einmal hinuntergegangen in unsern Bunker. Dolfs Vater hatte uns den ja besorgt. Er wohnt oben im Haus. Das war mal sein Waschkeller, liegt ganz für sich in einem Extraflur. War natürlich ideal für uns: erst noch ‘ne Flurtür zum Abschließen. Da konnten wir richtig sprechen, unsere Lieder singen und die Musik laut stellen. Es war natürlich ein Keller, klar. Mit kleinen Fenstern, durch die kaum Licht hereinkam.
Wir hatten die Wände angestrichen, einen Tisch in die Mitte gestellt. Fahnen an die Wand gehängt, die deutsche und auch die Hakenkreuzfahne. Auch die war von Dolfs Vater. Wir rollten sie abends immer ein, wenn wir gingen. Das war sonst zu gefährlich. Meinte Dolfs Alter auch.
Wir saßen in unserm Keller. Da fühlt man sich verbunden. »Wir gegen die Welt. Im Bunker, wie der Führer«, hat der Alte gesagt. »Die andern können uns nichts.«
Und wenn wir so ‘ne bestimmte Menge Bier drin haben, gehen wir los und machen einen drauf. Randale. Zoff. Das macht Spaß.
Und an dem Abend auch.
Meine Wut von dem Überfall war noch voll da. Hab rumgeguckt im Keller. Da hingen Fahrradund Motorradketten an der Wand. Für alle Fälle. Das hat mich angeturnt. Hab mir eine genommen. Ich wollte auch erst meinen Schlagring nehmen, hab ich dann aber doch nicht gemacht. Ich hab die
Kette unter meine Jacke gesteckt. Die andern hatten auch Ketten und Baseballschläger.
Wir waren zu fünft. Sind die Hauptstraße rauf. Richtung Bahnhof. Da kam uns ein Türke entgegen. So an der Seite. Versteckt. Ich meinte, ich hätte noch einen zweiten gesehen. War aber wohl nicht. Ich hab meine Kette einmal geschwungen. Der Türke zuckte zusammen, wollte abhauen. Das hat mich erst richtig angeturnt. Ich hab mich noch einmal umgesehen. Da war doch noch ein zweiter, oder? Ich war sicher, ich hatte mich nicht vertan. Aber ich sah ihn nicht. Das machte die Wut natürlich noch größer. Ich bin also auf den einen Türken zu. Mit der Kette natürlich. Ich hatte mich vorher noch einmal schnell umgesehen. Außer uns war keiner da. Alles leer. Es war wohl schon nach zehn, und da ist in unserer Stadt tote Hose. Ich ging auf ihn los. Die Kette schlug auf die Straße. Da hat der Kerl doch echt sein Messer gezogen! Die können’s einfach nicht lassen. Ich hab mal so gehauen. Nur so aus Spaß. Die andern kamen. Wir standen um ihn herum. Er winselte wie ein Hund. Fried hat auch noch zugeschlagen. Und noch mal. Die Kette hat den Ali am Kopf getroffen. Fried hat weitergehauen. Wir andern haben geguckt. Der Türke blutete. Aber nicht viel. Er stürzte zu Boden, und Fried und Jon haben weiter draufgehauen. »Jetzt reicht’s«, sagte ich. »Das ist kein Joke mehr.«
Aber erst als der sich nicht mehr regte, haben wir ihn liegenlassen und sind ab. »Der schläft jetzt ein bißchen. Gute Nacht!« Wir haben uns kaputtgelacht.
»Das war vielleicht zuviel«, hat Andy gesagt.
»Kanake«, sagte Fried. »Es war doch nur ein Kanake, und wenn wir die raushaben wollen, dann wollen wir die eben raushaben, und dann muß man halt so lange was tun, bis die von selbst unser Land räumen.«
»Ein paar von denen auf einmal, das würde Spaß machen. Erst so ‘n bißchen Action, dann erst Fahrradkette und Messer.« Ich weiß, früher hab ich immer gedacht: Fahrradketten und Motorradketten und Schlagringe und Messer, das wäre unfair. Denk ich auch heute noch. Aber es macht Spaß, so die blanke Angst in den Augen des andern zu sehen. Da fühlt man sich toft. Dann ist es wieder da, das Gefühl, wer zu sein.
Und den Türken wollen wir angst machen. Warum also nicht?
»Ein Türke weniger!« sagte Dolf an der Kreuzung. Zufrieden.
Ich sah mich noch einmal um. Wo war der andere? Ich hatte einen gesehen. Sollte ich es den andern sagen? Lieber nicht. Das ist bei uns nämlich so. Wer nicht stark tut nach außen, der wird ausgelacht. Also hab ich die Klappe gehalten. Vergaß auch bald, daß da noch einer gewesen war.