Файл: DER AMOKLÄUFER под печать.doc

ВУЗ: Не указан

Категория: Не указан

Дисциплина: Не указана

Добавлен: 22.12.2020

Просмотров: 196

Скачиваний: 1

ВНИМАНИЕ! Если данный файл нарушает Ваши авторские права, то обязательно сообщите нам.

Im Anfang war's noch erträglich. Ich trieb allerhand Stu­dien; einmal, als der Vizeresident auf der Inspektionsreise mit dem Automobil umgeworfen und sich ein Bein zerschmettert hatte, machte ich ohne Gehilfen eine Operation, über die viel geredet wurde; ich sammelte Gifte und Waffen der Eingebore­nen, ich beschäftigte mich mit hundert ldeinen Dingen, um mich wach zu halten. Aber all dies ging nur, solange die Kraft von Europa her in mir noch lebte: dann trocknete ich ein. Die paar Europäer langweilten mich, ich brach den Verkehr ab, trank und träumte in mich hinein. Ich hatte ja nur noch drei Jahre, dann war ich frei mit Pension, konnte nach Europa zurück­kehren, noch einmal ein Leben anfangen. Eigentlich tat ich nichts mehr als warten, still liegen und warten. Und so säße ich heute noch, wenn nicht sie... wenn nicht das gekommen wäre."

Die Stimme im Dunkeln hielt inne. Auch die Pfeife glimmte nicht mehr. So still war es, daß ich mit einem Male wieder das Wasser hörte, das sich schäumend am Kiel brach, und den fer­nen, dumpfen Herzstoß der Maschine. Ich hätte mir gern eine Zigarette angezündet, aber ich hatte Furcht vor dem grellen Aufschlag des Zündholzes und dem Widerschein in seinem Ge­sicht. Er schwieg und schwieg. Ich wußte nicht, ob er zu Ende sei, ob er duselte, ob er schlief, so tot war sein Schweigen.

Da schlug die Schiffsglocke einen geraden, kräftigen Schlag: ein Uhr. Er fuhr auf: ich hörte wieder das Glas klin­gen. Offenbar tastete die Hand suchend zum Whisky hinab. Ein Schluck gluckste leise—dann plötzlich begann die Stimme wieder, aber jetzt gleichsam gespannter, leidenschaftlicher.

Ja also... warten Sie... ja also, das war so. Ich sitze da droben in meinem verfluchten Nest, sitze wie die Spinne im Netz, regungslos seit Monaten schon. Es war gerade nach der Regenzeit, Wochen und Wochen hatte es auf das Dach geplät­schert, kein Mensch war gekommen, kein Europäer, täglich, täglich hatte ich dagesessen mit meinen gelben Weibern im Haus und meinem guten Whisky. Ich war gerade damals ganz down, ganz europakrank: wenn ich irgendeinen Roman las von hellen Straßen und weißen Frauen, begannen mir die Finger zu zittern. Ich kann Ihnen den Zustand nicht ganz schildern, es ist eine Art Tropenkrankheit, eine wütige, fiebrige und doch kraftlose Nostalgie, die einen manchmal packt. So saß ich da­mals, ich glaube über einem Atlas, und träumte mir Reisen aus. Da klopft es aufgeregt an die Tür, der Boy steht draußen und eines von den Weibern, beide haben die Augen ganz auf­gerissen vor Erstaunen. Sie machen große Gebärden: eine Dame sei hier, eine Lady, eine weiße Frau.

Ich fahre auf. Ich habe keinen Wagen kommen gehört, kein Automobil. Eine weiße Frau hier in dieser Wildnis?

Ich will die Treppe hinab, reiße mich aber noch zurück. Ein Blick in den Spiegel, hastig richte ich mich ein wenig zu­recht. Ich bin nervös, unruhig, gequält von unangenehmem Vorgefühl, denn ich weiß niemanden auf der Welt, der aus Freundschaft zu mir käme. Endlich gehe ich hinunter.

Im Vorraum wartet die Dame und kommt mir hastig ent­gegen. Ein dicker Automobilschleier verhüllt ihr Gesicht. Ich will sie begrüßen, aber sie fängt mir rasch das Wort ab. ,Gu­ten Tag, Doktor,' sagt sie auf englisch in einer fließenden (et­was zu leicht fließenden und wie im voraus eingelernten) Art. ,Verzeihen Sie, daß ich Sie überfalle. Aber wir waren gerade auf der Station, unser Auto hält drüben', — warum fährt sie nicht bis vors Haus, schießt es mir blitzschnell durch den Kopf — , da erinnerte ich mich, daß Sie hier wohnen. Ich habe schon so viel von Ihnen gehört, Sie haben ja eine wirkliche Zauberei mit dem Vizeresidenten gemacht, sein Bein ist wieder tadellos all right, er spielt Golf wie früher. Ah, ja, alles spricht noch davon drunten bei uns, und wir wollten alle unseren brummi­gen Surgeon und noch die zwei andern hergeben, wenn Sie zu uns kämen. Überhaupt, warum sieht man Sie nie drunten, Sie leben ja wie ein Jogi."

Und so plappert sie weiter, hastig und immer hastiger, ohne mich zu Worte kommen zu lassen. Etwas Nervöses und Fahriges ist in diesem dalkigen Geschwätz, und ich werde selbst unruhig davon. Warum spricht sie so viel, frage ich mich in­nerlich, warum stellt sie sich nicht vor, warum nimmt sie den Schleier nicht ab? Hat sie Fieber? Ist sie krank? Ist sie toll? Ich werde immer nervöser, weil ich die Lächerlichkeit emp­finde, so stumm vor ihr zu stehen, übergössen von ihrer pras­selnden Geschwätzigkeit. Endlich stoppt sie ein wenig, und ich kann sie hinaufbitten. Sie macht \dem Boy eine Bewegung, zu­rückzubleiben, und geht vor mir die Treppe empor.

,Nett haben Sie es hier', sagt sie, in meinem Zimmer sich umsehend. ,Ah, die schönen Bücher! Die möchte ich alle le­sen!' Sie tritt an das Regal und mustert die Büchertitel. Zum erstenmal, seit ich ihr entgegengetreten, schweigt sie für eine Minute.

,Darf ich Ihnen Tee anbieten?' fragte ich. Sie wendet sich nicht um und sieht nur auf die Büchertitel. ,Nein, danke, Dok­tor... wir müssen gleich wieder weiter... ich habe nicht viel Zeit... war ja nur ein kleiner Ausflug... Ach, da haben Sie auch den Flaubert, den liebe ich so sehr... wundervoll, ganz wun­dervoll, die „Education sentimentale"... ich sehe, Sie lesen auch Französisch... Was Sie alles können!., ja, die Deutschen, die lernen alles auf der Schule... Wirklich großartig, so viel Spra­chen zu können!.. Der Vizeresident schwört auf Sie, sagt im­mer, Sie seien der einzige, dem er unter das Messer ginge... unser guter Surgeon drüben taugt gerade zum Bridgespiel... Übrigens wissen Sie — (sie wendete sich noch immer nicht um), heute kam's mir selbst in den Sinn, ich sollte Sie einmal kon­sultieren... und weil wir eben vorüberfuhren, dachte ich... nun, Sie haben jetzt wohl zu tun... ich komme lieber ein andermal!'


,Deckst du endlich die Karten auf!' dachte ich mir sofort. Aber ich ließ nichts merken, sondern versicherte ihr, es wür­de mir nur eine Ehre sein, jetzt und wann immer sie wolle ihr zu dienen.

,Es ist nichts Ernstes', sagte sie, sich halb umwendend und gleichzeitig in einem Buch blätternd, das sie vom Regal ge­nommen hatte, ,nichts Ernstes... Kleinigkeiten... Weiber­sachen... Schwindel, Ohnmächten. Heute früh schlug ich, als wir eine Kurve machten, plötzlich hin, raide morte... der Boy mußte mich aufrichten im Auto und Wasser holen... nun, viel­leicht ist der Chauffeur zu rasch gefahren... meinen Sie nicht, Doktor?'

Ich kann das so nicht beurteilen. Haben Sie öfter derlei Ohnmächten?

,Nein... das heißt ja... in der letzten Zeit... gerade in der allerletzten Zeit... ja... solche Ohnmächten und Übelkelten.'

Sie steht schon wieder vor dem Bücherschrank, tut das Buch hinein, nimmt ein anderes heraus und blättert darin. Merkwürdig, warum blättert sie immer so... so nervös, war­um schaut sie unter dem Schleier nicht auf? Ich sage mit Ab­sicht nichts. Es reizt mich, sie warten zu lassen. Endlich fängt sie wieder an in ihrer plapprigen. unbekümmerten Art.

,Nicht wahr, Doktor, nichts Bedenkliches das? Keine Tropensache... nichts Gefährliches...

,Ich müßte erst sehen, ob Sie Fieber haben. Darf ich um Ihren Puls bitten...'

Ich gehe auf sie zu. Sie weicht leicht zur Seite. ,Nein, nein, ich habe kein Fieber... gewiß, ganz gewiß nicht... ich habe mich selbst gemessen jeden Tag, seit... seit diese Ohnmächten ka­men. Nie Fieber, immer tadellos 36,4 auf den Strich. Auch mein Magen ist gesund.

Ich zögere einen Augenblick. Die ganze Zeit schon prik-kelt in mir ein Argwohn: ich spüre, diese Frau will etwas von mir, man kommt nicht in eine Wildnis, um über Flaubert zu sprechen. Eine, zwei Minuten lasse ich sie warten. ,Verzeihen Sie, sage ich dann geradewegs, ,darf ich ganz frei einige Fra­gen stellen?'

,Gewiß, Doktor! Sie sind doch Arzt', antwortet sie, aber schon wendet sie mir wieder den Rücken und spielt mit den Büchern.

,Haben Sie Kinder gehabt? ,Ja, einen Sohn.' ,Und haben Sie... haben Sie vorher... ich meine damals... haben Sie da ähnliche Zustände gehabt?' Ja.'

Ihre Stimme ist jetzt ganz anders. Ganz klar, ganz be­stimmt, gar nicht mehr plapprig, gar nicht mehr nervös. ,Urtd wäre es möglich, daß Sie... verzeihen Sie die Frage... daß Sie jetzt in einem ähnlichen Zustande sind?'

,Ja.'

Wie ein Messer scharf und schneidend läßt sie das Wort fallen. In ihrem abgewandten Kopf zuckt nicht eine Linie.

, Vielleicht wäre es da am besten, gnädige Frau, ich näh­me eine allgemeine Untersuchung vor... darf ich Sie vielleicht bitten, sich... sich in das andere Zimmer hinüber zu bemü­hen?

Da wendet sie sich plötzlich um. Durch den Schleier fühle ich einen kalten, entschlossenen Blick mir gerade entgegen.

,Nein... das ist nicht nötig... ich habe volle Gewißheit über meinen Zustand."'


Die Stimme zögert einen Augenblick. Wieder bunkert im Dunkel das gefüllte Glas.

,,Also hören Sie... aber versuchen Sie zuerst einen Au­genblick, sich das zu überdenken. Da drängt sich zu einem, der in seiner Einsamkeit vergeht, eine Frau herein, die erste weiße Frau betritt seit Jahren das Zimmer... und plötzlich spüre ich's, es ist etwas Böses im Zimmer, eine Gefahr. Es überlief mich: mir graute vor der stählernen Entschlossenheit dieses Weibes, das da mit plapprigen Reden hereingekommen war und dann mit einem Male seine Forderung zückt wie ein Mes­ser. Denn was sie von mir wollte, wußte ich ja, wußte ich so­fort—es war nicht das erste Mal, daß Frauen so etwas von mir verlangten, aber sie kamen anders, kamen verschämt oder flehend, kamen mit Tränen und Beschwörungen. Hier aber war eine... ja, eine stählerne, eine männliche Entschlossen­heit... von der ersten Sekunde spürte ich's, daß diese Frau stärker war als ich... daß-sie mich in ihren Willen zwingen konnte, wie sie wollte... Aber... aber... es war auch etwas Bö­ses in mir... der Mann, der sich wehrte, irgendeine Erbitte­rung, denn... ich sagte es ja schon... von der ersten Sekunde, ja, noch ehe ich sie gesehen, empfand ich diese Frau als Feind.

Ich schwieg zunächst. Schwieg hartnäckig und erbittert. Ich spürte, daß sie mich unter dem Schleier ansah — gerade und fordernd ansah, daß sie mich zwingen wollte zu sprechen. Aber ich gab nicht so leicht nach. Ich begann zu sprechen, aber... ausweichend... ja unbewußt ahmte ich ihre plapprige, gleichgültige Art nach. Ich tat, als ob ich sie nicht verstünde, denn — ich weiß nicht, ob Sie das nachfühlen können — ich wollte sie zwingen, deutlich zu werden, ich wollte nicht anbie­ten, sondern... gebeten sein... gerade von ihr, weil sie so her­risch kam... und weil ich wußte, daß mich den Frauen nichts so unterlegen macht wie diese hochmütige, kalte Art.

Ich redete also herum, dies sei ganz unbedenklich, solche Ohnmächten gehörten zum regulären Lauf der Dinge, im Ge­genteil, sie verbürgten beinahe eine gute Entwicklung. Ich zi­tierte Fälle aus den klinischen Zeitschriften... ich sprach, ich sprach, lässig und leicht, immer die Angelegenheit ganz wie eine Banalität betrachtend und... und wartete immer, daß sie mich unterbrechen würde. Denn ich wußte, sie würde es nicht ertragen.


Da fuhr sie schon scharf dazwischen, mit einer Hand­bewegung gleichsam das ganze beruhigende Gerede weg­streifend.

,Das ist es nicht, Doktor, was mich unsicher macht. Da­mals, als ich meinen Buben bekam, war ich in besserer Ver­fassung... aber jetzt bin ich nicht mehr allright... ich habe Herzzustände...'

,Ach, Herzzustände, wiederholte ich, scheinbar be­unruhigt, ,da will ich doch gleich nachsehen. 'Und ich machte eine Bewegung, als ob ich aufstehen und das Hörrohr holen wollte.

Aber schon fuhr sie dazwischen. Die Stimme war jetzt ganz scharf und bestimmt—wie auf dem Kommandoplatz.

Ich habe Herzzustände, Doktor, und ich muß Sie bitten, zu glauben, was ich Ihnen sage. Ich möchte nicht viel Zeit mit Untersuchungen verlieren — Sie könnten mir, meine ich, et­was mehr Vertrauen entgegenbringen. Ich wenigstens habe mein Vertrauen zu Ihnen genug bezeugt. Jetzt war es schon Kampf, offene Herausforderung. Und ich nahm sie an.

,Zum Vertrauen gehört Offenheit, rückhaltlose Offenheit. Reden Sie klar, ich bin Arzt. Und vor allem nehmen Sie den Schleier ab, setzen Sie sich her, lassen Sie die Bücher und die Umwege. Man kommt nicht zum Arzt im Schleier.'

Sie sah mich an, aufrecht und stolz. Einen Augenblick zö­gerte sie. Dann setzte sie sich nieder, zog den Schleier hoch. Ich sah ein Gesicht, ganz so wie ich es — gefürchtet hatte, ein undurchdringliches Gesicht, hart, beherrscht, von einer alters­losen Schönheit, ein Gesicht mit grauen englischen Augen, in denen alles Ruhe schien und hinter die man doch alles Leiden­schaftliche träumen konnte. Dieser schmale, verpreßte Mund gab kein Geheimnis her, wenn er nicht wollte. Eine Minute lang sahen wir einander an — sie befehlend und fragend zugleich, mit einer so kalten, stählernen Grausamkeit, daß ich es nicht ertrug und unwillkürlich zur Seite blickte.

Sie klopfte leicht mit dem Knöchel auf den Tisch. Also auch in ihr war Nervosität. Dann sagte sie plötzlich rasch: ,Wissen Sie, Doktor, was ich von Ihnen will, oder wissen Sie es nicht?'

,Ich glaube es zu wissen. Aber seien wir lieber ganz deut­lich. Sie wollen Ihrem Zustand ein Ende bereiten... Sie wollen, daß ich Sie von Ihrer Ohnmacht, Ihren Übelkeiten befreie, indem ich... indem ich die Ursache beseitige. Ist es das?'

Ja.'

Wie ein Fallbeil zuckte das Wort.

,Wissen Sie auch, daß solche Versuche gefährlich sind... für beide Teile...?' ,Ja.'

,Daß es mir gesetzlich untersagt ist?'

,Es gibt Möglichkeiten, wo es nicht untersagt, vielmehr geboten ist.'

,Aber diese erfordern eine ärztliche Indikation.'

,So werden Sie diese Indikation finden. Sie sind Arzt.'

Klar, starr, ohne zu zucken, blickten mich ihre Augen da­bei an. Es war ein Befehl, und ich Schwächling bebte in Be­wunderung vor der dämonischen Herrischkeit ihres Willens. Aber ich krümmte mich noch, ich wollte nicht zeigen, daß ich schon zertreten war. — ,Nur nicht zu rasch! Umstände ma­chen! Sie zur Bitte zwingen', funkelte in mir irgendein Gelüst.

,Das liegt nicht immer im Willen des Arztes. Aber ich bin bereit, mit einem Kollegen im Krankenhaus...'

,Ich will Ihren Kollegen nicht... ich bin zu Ihnen gekom­men.'

,Darf ich fragen, warum gerade zu mir?' Sie sah mich kalt an. ,Ich habe kein Bedenken, es Ihnen zu sagen. Weil Sie ab­seits wohnen, weil Sie mich nicht kennen — weil Sie ein guter Arzt sind und weil Sie...' — jetzt zögerte sie zum erstenmal — ,wohl nicht mehr lange in dieser Gegend bleiben werden, be­sonders wenn Sie... wenn Sie eine größere Summe nach Hause bringen können.'

Mich überlief s kalt. Diese eherne, diese Merchant —, diese Kaufmannsklarheit der Berechnung betäubte mich. Bisher hat­te sie ihre Lippen noch nicht zur Bitte aufgetan — aber alles längst auskalkuliert, mich erst umlauert und dann aufgespürt. Ich spürte, wie das Dämonische ihres Willens in mich eindrang, aber ich wehrte mich mit all meiner Erbitterung. Noch einmal zwang ich mich sachlich — ja fast ironisch zu sein.

,Und diese größere Summe würden Sie... würden Sie mir zur Verfügung stellen?'

,Für. Ihre Hilfe und sofortige Abreise.' ,Wissen Sie, daß ich dadurch meine Pension verliere?

,Ich werde sie Ihnen entschädigen.'

,Sie sind sehr deutlich... Aber ich will noch mehr Deut­lichkeit. Welche Summe haben Sie als Honorar in Aussicht genommen?'

,Zwölftausend Gulden, zahlbar auf Scheck in Amsterdam.'

Ich... zitterte... ich zitterte vor Zorn und... ja, auch vor Bewunderung. Alles hatte sie berechnet, die Summe und die Art der Zahlung, durch die ich zur Abreise genötigt war, sie hatte mich eingeschätzt und gekauft, ohne mich zu kennen, hatte über mich verfügt im Vorgefühl ihres Willens. Am lieb-, sten hatte ich ihr ins Gesicht geschlagen... Aber als ich zit­ternd aufstand — auch sie war aufgestanden — und ihr gera­de Auge in Auge starrte, da überkam mich plötzlich bei dem Blick auf diesen verschlossenen Mund, der nicht bitten, auf ihre hochmütige Stirn, die sich nicht beugen wollte... eine... eine Art gewalttätiger Gier. Sie mußte irgend etwas davon füh­len, denn sie spannte ihre Augenbrauen hoch, wie wenn man


jemand Lästigen wegweisen will: der Haß zwischen uns war plötzlich nackt. Ich wußte, sie haßte mich, weil sie mich brauch­te, und ich haßte sie, weil... weil sie nicht bitten wollte. Diese eine, diese eine Sekunde Schweigen sprachen wir zum ersten­mal ganz aufrichtig zueinander. Dann biß sich mir plötzlich wie ein Reptil ein Gedanke ein, und ich sagte ihr... ich sagte ihr...

Aber warten Sie, so würden Sie es falsch verstehen, was ich tat... was ich sagte... ich muß Ihnen erst erklären, wie... wieso dieser wahnsinnige Gedanke in mich kam..."

Wieder klirrte leise im Dunkel das Glas. Und die Stimme wurde erregter.

Nicht daß ich mich entschuldigen will, mich rechtferti­gen, mich reinwaschen... Aber Sie verstehen es sonst nicht... Ich weiß nicht, ob ich je so etwas wie ein guter Mensch gewe­sen bin, aber... ich glaube, hilfreich war ich immer... In dem dreckigen Leben da drüben war das ja die einzige Freude, die man hatte, mit der Handvoll Wissenschaft, die man sich ins Hirn gepreßt irgendeinem Stück Leben den Atem erhalten zu können... so eine Art Herrgottsfreude... Wirklich, es waren meine schönsten Augenblicke, wenn so ein gelber Bursch kam, blauweiß vor Schrecken, einen Schlangenbiß im hoch­geschwollenen Fuß, und schon heulte, man solle ihm das Bein nicht abschneiden, und ich kriegte es noch fertig, ihn zu ret­ten. Stundenweit bin ich gefahren, wenn irgendein Weib im Fieber lag — auch so, wie diese es wollte, habe ich geholfen, schon in Europa drüben an der Klinik. Aber da spürte man wenigstens, daß dieser Mensch einen brauchte, da wußte man, daß man jemanden vom Tode rettete oder vor der Verzweif­lung — und das braucht man eben selbst zum Helfen, dies Gefühl, daß der andere einen braucht.

Aber diese Frau — ich weiß nicht, ob ich es Ihnen schil­dern kann —, sie regte mich auf, reizte mich von dem Augen blick, da sie scheinbar promenierend hereinkam, durch ihren Hochmut zu einem Widerstand, sie reizte alles — wie soll ich's sagen... sie reizte alles Gedrückte, alles Versteckte, alles Böse in mir zur Gegenwehr. Daß sie Lady spielte, unnahbar kühl ein Geschäft entrierte, wo es um Tod und Leben ging, das machte mich toll... Und dann... dann... schließlich wird man doch nicht schwanger vom Golfspielen... ich wußte... das heißt, ich'mußte plötzlich mit einer — und das war jener Gedanke — 'mit einer entsetzlichen Deutlichkeit mich daran erinnern, daß diese Kühle, diese Hochmütige, diese Kalte, die steil die Au­genbrauen über ihre stählernen Augen hochzog, als ich sie nur abwehrend... ja fast wegstoßend anblickte, daß die sich zwei oder drei Monate vorher im Bett mit einem Mann gewälzt hat­te, nackt wie ein Tier und vielleicht stöhnend vor Lust, die Körper ineinander verbissen wie zwei Lippen... Das, das war der brennende Gedanke, der mich überfiel, als sie mich so hochmütig, so unnahbar kühl, ganz wie ein englischer Offizier anblickte... und da, da spannte sich alles in mir... ich war be­sessen von der Idee, sie zu erniedrigen... von dieser Sekunde sah ich durch das Kleid ihren Körper nackt... von dieser Se­kunde an lebte ich nur im Gedanken, sie zu besitzen, ein Stöh­nen aus ihren harten Lippen zu pressen, diese Kalte, diese Hochmütige in Wollust zu fühlen so wie jener, jener andere, den ich nicht kannte. Das... das wollte ich Ihnen erklären... Ich habe nie, so verkommen ich war, sonst als Arzt die Situa­tion zu nutzen gesucht... Aber diesmal war es ja nicht Brunst, nichts Sexuelles, wahrhaftig nicht... ich wurde es ja eingeste­hen... nur die Gier, eines Hochmuts Herr zu werden... Herr als Mann... Ich sagte es Ihnen, glaube ich, schon, daß hoch­mütige, scheinbar kühle Frauen von je über mich Macht hat­ten... aber jetzt, jetzt kam noch dies dazu, daß ich sieben Jah­re hier lebte, ohne eine weiße Frau gehabt zu haben, daß ich Widerstand nicht kannte... Denn diese Mädchen hier, diese zwitschernden kleinen zierlichen Tierchen, die zittern ja vor

Ehrfurcht, wenn ein Weißer, ein ,Herr, sie nimmt... sie lö­schen aus in Demut, immer sind sie einem offen, immer be­reit, mit ihrem leisen, glucksenden Lachen einem zu dienen... aber gerade diese Unterwürfigkeit, dieses Sklavische verekelt einem den Genuß... Verstehen Sie jetzt, verstehen Sie es, wie das dann auf mich hinschmetternd wirkte, wenn da plötzlich eine Frau kam, voll von Hochmut und Haß, verschlossen bis an die Fingerspitzen, zugleich funkelnd von Geheimnis und be­laden mit früherer Leidenschaft... wenn eine solche Frau in den Käfig eines solchen Mannes, einer so vereinsamten, ver­hungerten, abgesperrten Menschenbestie frech eintritt... Das... das wollte ich nur sagen, damit Sie das andere verstehen... das, was jetzt kam. Also... voll von irgendeiner bösen Gier, vergiftet von dem Gedanken an sie, nackt, sinnlich, hingege­ben, ballte ich mich gleichsam zusammen und täuschte Gleich­gültigkeit vor. Ich sagte kühl: ,Zwölftausend Gulden?... Nein, dafür werde ich es nicht tun.'


Sie sah mich an, ein wenig blaß. Sie spürte wohl schon, daß in diesem Widerstand nicht Geldgier war. Aber doch fragte sie: ,Was verlangen Sie also?'

Ich ging auf den kühlen Ton nicht mehr ein. ,Spielen wir mit offenen Karten! Ich bin kein Geschäftsmann... ich bin nicht der arme Apotheker aus Romeo und Julia, der für corrupted gold sein Gift verkauft... ich bin vielleicht das Gegenteil eines Geschäftsmannes... auf diesem Wege werden Sie Ihren Wunsch nicht erfüllt sehen.'

,Sie wollen es also nicht tun?'

,Nicht für Geld.'

Es wurde ganz still für eine Sekunde zwischen uns. So still, daß ich sie zum erstenmal atmen hörte. ,Was können Sie denn sonst wünschen?'

Jetzt hielt ich mich nicht mehr.'

,Ich wünsche zuerst, daß Sie... daß Sie zu mir nicht wie zu einem Krämer reden, sondern wie zu einem Menschen. Daß

Sie, wenn Sie Hilfe brauchen, nicht... nicht gleich mit Ihrem schändlichen Geld kommen... sondern bitten... mich, den Men­schen, bitten, Ihnen, dem Menschen, zu helfen... Ich bin nicht nur Arzt, ich habe nicht nur Sprechstunden... ich habe auch andere Stunden... vielleicht sind Sie in eine solche Stunde ge­kommen...'

Sie schweigt einen Augenblick. Dann krümmt sich ihr Mund ganz leicht, zittert und sagt rasch:

,Also wenn ich Sie bäte... dann würden Sie es tun?'

,Sie wollen schon wieder ein Geschäft machen—Sie wol­len nur bitten, wenn ich erst verspreche. Erst müssen Sie mich bitten — dann werde ich Ihnen antworten.' Sie wirft den Kopf hoch wie ein trotziges Pferd. Zornig sieht sie mich an.

,Nein — ich werde Sie nicht bitten. Lieber zugrunde ge­hen!*

Da packt mich der Zorn, der rote, sinnlose Zorn.

,Dann werde ich fordern, wenn Sie nicht bitten wollen. Ich glaube, ich muß nicht erst deutlich werden — Sie wissen, was ich von Ihnen begehre. Dann — dann werde ich Ihnen helfen.'

Einen Augenblick starrte sie mich an. Dann — о ich kann, ich kann nicht sagen, wie entsetzlich das war — dann spann­ten sich ihre Züge, und dann... dann lachte sie mit einem Male... lachte sie mir mit einer unsagbaren Verächtlichkeit ins Ge­sicht... mit einer Verächtlichkeit, die mich zerstäubte... und die mich berauschte zugleich... Es war wie eine Explosion, so plötzlich, so aufspringend, so mächtig losgesprengt von einer ungeheuren Kraft, dieses Lachen der Verächtlichkeit, daß ich... ja, daß ich hatte zu Boden sinken können und ihr die Füße küssen. Eine Sekunde dauerte es nur... es war wie ein Blitz, und ich hatte das Feuer im ganzen Körper... da wandte sie sich schon und ging hastig auf die Tür zu.

Unwillkürlich wollte ich ihr nach... mich entschuldigen... sie anflehen... meine Kraft war ja ganz zerbrochen... da kehrte sie sich noch einmal um und sagte... nein, sie befahl:

,Unterstehen Sie sich nicht, mir zu folgen oder nachzu­spüren... Sie würden es bereuen.' Und schon krachte die Türe zu."


Wieder ein Zögern. Wieder ein Schweigen... Wieder nur dies Rauschen, als ob das Mondlicht strömte. Und dann end­lich wieder die Stimme.

Die Tür schlug zu... aber ich stand unbeweglich an der Stelle... ich war gleichsam hypnotisiert von dem Befehl... ich hörte sie die Treppe hinabsteigen, die Haustür zumachen... ich hörte alles, und mein ganzer Wille drängte ihr nach... sie... ich weiß nicht, was... sie zurückzurufen oder zu schlagen oder zu erdrosseln... aber ihr nach... ihr nach... Und doch konnte ich nicht. Meine Glieder waren gleichsam gelähmt wie von ei­nem elektrischen Schlag... ich war eben getroffen, getroffen bis ins Mark hinein von dem herrischen Blitz dieses Blickes... Ich weiß, das ist nicht zu erklären, nicht zu erzählen... es mag lächerlich klingen, aber ich stand und stand... ich brauchte Minuten, vielleicht fünf, vielleicht zehn Minuten, ehe ich einen Fuß wegreißen konnte von der Erde...

Aber kaum daß ich einen Fuß gerührt, war ich schon heiß, war ich schon rasch... im Nu eilte ich die Treppe hinab... Sie konnte ja nur die Straße hinabgegangen sein zur Zivilstation... ich stürze in den Schuppen, das Rad zu holen, sehe, daß ich den Schlüssel vergessen habe, reiße den Verschlag auf, daß der Bambus splittert und kracht... und schon schwinge ich mich auf das Rad und sause ihr nach... ich muß sie... ich muß sie erreichen, ehe sie zu ihrem Automobil gelangt... ich muß sie sprechen...

Die Straße staubt an mir vorbei... jetzt merke ich erst, wie lange ich oben starr gestanden haben mußte... da... auf der Kurve im Wald knapp vor der Station sehe ich sie, wie sie hastig mit steifem, geradem Schritt hineilt, begleitet von dem' Boy... Aber auch sie muß mich gesehen haben, denn sie spricht jetzt mit dem Boy, der zurückbleibt, und geht allein weiter... Was will sie tun? Warum Will sie allein sein?.. Will sie mit mir sprechen, ohne daß er es hört?.. Blindwütig trete ich in die Pedale hinein... Da springt mir plötzlich quer von der Seite etwas über den Weg... der Boy... ich kann gerade noch das Rad zur Seite reißen und krache hin...

Ich stehe fluchend auf... unwillkürlich hebe ich die Faust, um dem Tölpel eins hinzuknallen, aber er springt zur Seite... Ich rüttle mein Fahrrad hoch, um wieder aufzusteigen... Aber da springt der Halunke vor, faßt das Rad und sagt in seinem erbärmlichen Englisch: ,You remain here.'