Файл: DER AMOKLÄUFER под печать.doc

ВУЗ: Не указан

Категория: Не указан

Дисциплина: Не указана

Добавлен: 22.12.2020

Просмотров: 186

Скачиваний: 1

ВНИМАНИЕ! Если данный файл нарушает Ваши авторские права, то обязательно сообщите нам.

Aber... als ich an Bord kam... nachts... mitternachts... mein Freund war mit mir... da... da... zogen sie gerade am Kran etwas herauf... rechteckig, schwarz... ihren Sarg... hö­ren Sie: ihren Sarg... sie hat mich hierher verfolgt, wie ich sie verfolgte... und ich mußte dabeistehen, mich fremd stel­len, denn er, ihr Mann, war mit... er begleitet ihn nach Eng­land... vielleicht will er dort eine Autopsie machen lassen... er hat sie an sich gerissen... jetzt gehört sie weder ihm... nicht mehr uns, uns... uns beiden... Aber ich bin noch da...

ich' gehe mit bis zur letzten Stunde... er wird, er darf es nie erfahren... ich werde ihr Geheimnis zu verteidigen wissen gegen jeden Versuch... gegen diesen Schurken, vor dem sie in den Tod gegangen ist... Nichts, nichts wird er erfahren... ihr Geheimnis gehört mir, nur mir allein...

Verstehen Sie jetzt... verstehen Sie jetzt... warum ich die Menschen nicht sehen kann... ihr Gelächter nicht hören... wenn sie flirten und sich paaren... denn da drunten... drunten im Lagerraum zwischen Teeballen und Paranüssen steht der Sarg verstaut... Ich kann nicht hin, der Raum ist versperrt... aber ich weiß es mit allen meinen Sinnen, weiß es in jeder Sekun­de... auch wenn sie hier Walzer spielen und Tango... es ist ja dumm, das Meer da schwemmt über Millionen Tote, auf je­dem Fußbreit Erde, den man tritt, fault eine Leiche... aber doch, ich kann es nicht ertragen, ich kann es nicht ertragen, wenn sie Maskenbälle geben und so geil lachen... diese Tote, ich spüre sie, und ich weiß, was sie von mir will... ich weiß es, ich habe noch eine Pflicht... ich bin noch nicht zu Ende... noch ist ihr Geheimnis nicht gerettet... sie gibt mich noch nicht frei..."


Vom Mittelschiff kamen schlurfende Schritte, klatschen­de Laute: Matrosen begannen das Deck zu scheuern. Er fuhr auf wie ertappt: sein zerspanntes Gesicht bekam einen ängstli­chen Zug. Er stand auf und murmelte: „Ich gehe schon... ich gehe schon."

Es war eine Qual, ihn anzuschauen: seinen verwüste-ten Blick, die gedunsenen Augen, rot vom Trinken oder Weinen. Er wich meiner Anteilnahme aus: ich spürte aus seinem gedukten Wesen Scham, unendliche Scham, sich verraten zu haben an mich, an diese Nacht. Unwillkürlich sagte ich:

Darf ich vielleicht nachmittags zu Ihnen in die Kabine kommen..."

Er sah mich an — ein höhnischer, harter, zynischer Zug zerrte an seinen Lippen, etwas Böses stieß und verkrümmte jedes Wort.

Aha... Ihre famose Pflicht zu helfen... aha... Mit der Ma­xime haben Sie mich ja glücklich zum Schwatzen gebracht. Aber nein, mein Herr, ich danke. Glauben Sie ja nicht, daß mir jetzt leichter sei, seit ich mir die Eingeweide vor Ihnen aufgerissen habe bis zum Kot in meinen Därmen. Mein ver­pfuschtes Leben kann mir keiner mehr zusammenflicken... ich habe eben umsonst der verehrlichen holländischen Regierung gedient... die Pension ist futsch, ich komme als armer Hund nach Europa zurück... ein Hund, der hinter einem Sarg her­winselt... man läuft nicht lange ungestraft Amok, am Ende schlägt's einen doch nieder, und ich hoffe, ich bin bald am Ende... Nein, danke, mein Herr, für Ihren gütigen Besuch... ich habe schon in der Kabine meine Gefährten... ein paar gute Flaschen alten Whisky, die trösten mich manchmal, und dann meinen Freund von damals, an den ich mich leider nicht recht­zeitig gewandt habe, meinen braven Browning... der hilft schließlich besser als alles Geschwätz... Bitte, bemühen Sie sich nicht... das einzige Menschenrecht, das einem bleibt, ist doch: zu krepieren, wie man will... und dabei ungeschoren zu bleiben von fremder Hilfe."

Er sah mich noch einmal höhnisch... ja herausfordernd an, aber ich spürte: es war nur Scham, grenzenlose Scham. Dann duckte er die Schultern, wandte sich um, ohne zu grüßen, und ging merkwürdig schief und schlurfend über das schon helle Verdeck den Kabinen zu. Ich habe ihn nicht mehr gesehen. Vergebens suchte ich ihn nachts und die nächste Nacht an der gewohnten Stelle. Er blieb verschwunden, und ich hatte an einen Traum geglaubt oder an eine phantasti­sche Erscheinung, wäre mir nicht inzwischen unter den Pas­sagieren ein anderer aufgefallen mit einem Trauerflor um den Arm, ein holländischer Großkaufmann, der, wie man mir bestätigte, eben seine Frau an einer Tropenkrankheit verlo­ren hatte. Ich sah ihn ernst und gequält abseits von den an­dern auf und ab gehen, und der Gedanke, daß ich um seine geheimste Sorge wußte, gab mir eine geheimnisvolle Scheu: ich bog immer zur Seite, wenn er vorüberkam, um nicht mit einem Blick zu verraten, daß ich mehr von seinem Schicksal wußte als er selbst.


Im Hafen von Neapel ereignete sich dann jener merkwür­dige Unfall, dessen Deutung ich in der Erzählung des Fremden zu finden glaubte. Die meisten Passagiere waren abends von Bord gegangen, ich selbst in die Oper und dann noch in eines der hellen Cafes an der Via Roma.

Als wir in einem Ruderboot zu dem Dampfer zurückkehr­ten, fiel mir schon auf, daß einige Boote mit Fackeln und Azetylenlampen das Schiff suchend umkreisten, und oben am dunklen Bord war ein geheimnisvolles Gehen und Kommen von Karabinieris und Gendarmerie. Ich fragte einen Matrosen, was geschehen sei.. Er wich in einer Weise aus, die sofort zeigte, daß Auftrag zum Schweigen gegeben sei, und auch am näch­sten Tage, als das Schiff wieder friedfertig und ohne Spur ei­nes Zwischenfalles nach Genua weiterfuhr, war nichts an Bord zu erfahren. Erst in den italienischen Zeitungen las ich dann, romantisch ausgeschmückt, von jenem angeblichen Unfall im Hafen von Neapel. In jener Nacht sollte, so schrieben sie, in unbelebter Stunde, um die Passagiere nicht durch den Anblick zu beunruhigen, der Sarg einer vornehmen Dame aus den hol­ländischen Kolonien von Bord des Schiffes auf ein Boot ge­bracht werden, und man ließ ihn eben in Gegenwart des Gat­ten die Strickleiter hinab, als irgend etwas Schweres vom ho­hen Bord niederstürzte und den Sarg mit den Trägern und dem Gatten, die ihn gemeinsam niederhißten, mit sich in die Tiefe riß. Eine Zeitung behauptete, es sei ein Irrsinniger gewe­sen, der sich die Treppe hinab auf die Strickleiter gestürzt habe, eine andere beschönigte, die Leiter sei von selbst unter dem übergroßen Gewicht gerissen: jedenfalls schien die Schif­fahrtsgesellschaft alles getan zu haben, um den genauen Sach­verhalt zu verschleiern. Man rettete nicht ohne Mühe die Trä­ger und den Gatten der Verstorbenen mit Booten aus dem Was­ser, der Bleisarg aber ging sofort in die Tiefe und konnte nicht mehr geborgen werden. Daß gleichzeitig in einer andern Notiz kurz erwähnt wurde, es sei die Leiche eines etwa vierzigjähri­gen Mannes im Hafen angeschwemmt worden, schien für die Öffentlichkeit in keinem. Zusammenhang mit dem romantisch reponierten Unfall zu stehen; mir aber war, kaum daß ich die flüchtige Zeile gelesen, als starre mir plötzlich hinter dem pa­pierenen Blatt das mondweiße Antlitz mit den glitzernden Bril­lengläsern noch einmal gespenstisch entgegen.