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Sie haben nicht in den Tropen gelebt... Sie wissen nicht, was für eine Frechheit das ist, wenn ein solcher gelber Halun­ke einem weißen Herrn' das Rad faßt und ihm, dem ,Herrn', befiehlt, dazubleiben. Statt aller Antwort schlage ich ihm die Faust ins Gesicht... er taumelt, aber er hält das Rad fest... seine Augen, seine engen, feigen Augen sind weit aufgerissen in sklavischer Angst... aber er hält die Stange, hält sie teuflisch fest... ,You remain here', stammelt er noch einmal. Zum Glück hatte ich keinen Revolver bei mir. Ich hätte ihn sonst nieder­geknallt. ,Weg, Kanaille!' sage ich nur. Er starrt mich geduckt an, läßt aber die Stange nicht los. Ich schlage ihm noch einmal auf den Schädel, er läßt noch immer nicht los. Da faßt mich die Wut... ich sehe, daß sie schon fort, vielleicht schon ent­kommen ist... und versetze ihm einen regelrechten Boxerschlag unters Kinn, daß er hinwirbelt. Jetzt habe ich mein Rad wie­der... aber wie ich aufspringe, stockt der Lauf... bei dem ge­waltsamen Zerren hat sich die Speiche verbogen... Ich versu­che mit fiebernden Händen, sie gerade zu drehen... Es geht nicht... so schmeiße ich das Rad quer auf den Weg neben den Halunken hin, der blutend aufsteht und zur Seite weicht... Und dann — nein, Sie können nicht fühlen, wie lächerlich das dort vor allen Menschen ist, wenn ein Europäer... nun, ich wußte nicht mehr, was ich tat... ich hatte nur den einen Gedanken: ihr nach, sie erreichen... und so /Je/ich, lief wie ein Rasender die Landstraße entlang vorbei an den Hütten, wo das gelbe Gesindel sich staunend vordrängte, einen weißen Mann, den Doktor, laufen zu sehen.

Schweißtriefend kam ich auf der Station an... Meine erste Frage: Wo ist das Auto?.. Eben weggefahren... Verwundert sehen mich die. Leute an: als Rasender muß ich ihnen erschei­nen, wie ich da naß und schmierig ankam, die Frage voran­schreiend, ehe ich noch stand... Unten an der Straße sehe ich weiß den Qualm des Autos wirbeln... es ist ihr gelungen... ge­lungen, wie alles ihrer harten, grausam harten Berechnung gelingen muß.

Aber die Flucht hilft ihr nichts... In den Tropen gibt es kein Geheimnis unter den Europäern... einer kennt den an-.dern, alles wird zum Ereignis... Nicht umsonst hat ihr Chauf­feur eine Stunde im Bungalow der Regierung gestanden... in einigen Minuten weiß ich alles... Weiß, wer sie ist... daß sie unten in — nun in der Regierungsstadt wohnt, acht Eisenbahn­stunden von hier... daß sie — nun, sagen wir, die Frau eines Großkaufmannes ist, rasend reich, vornehm, eine Englände­rin... ich weiß, daß ihr Mann jetzt fünf Monate in Amerika war und nächster Tage eintreffen soll, um sie mit nach Euro pa zu nehmen... Sie aber — und wie Gift brennt sich mir der Gedanke in die Adern hinein — sie kann höchstens zwei oder drei Monate in ihrem jetzigen Zustande sein..."


,,Bisher konnte ich Ihnen noch alles begreiflich machen... vielleicht nur deshalb, weil ich bis zu diesem Augenblicke mich noch selbst verstand... mir als Arzt immer die Diagnose mei­nes Zustands selbst stellte. Aber von da an begann es wie ein Fieber in mir... ich verlor die Herrschaft über mich... das heißt, ich wußte genau, wie sinnlos alles war, was ich tat; aber ich hatte keine Macht mehr über mich... ich verstand mich selbst nicht mehr... ich lief nur in der Besessenheit meines Ziels vorwärts... Übrigens warten Sie... vielleicht kann ich es Ih­nen doch begreiflich machen... Wissen Sie, was Amok ist?"

Amok?... ich glaube mich zu erinnern... Eine Art Trun­kenheit bei den Malaien..."

Es ist mehr als Trunkenheit... es ist Tollheit, eine Art menschlicher Hundswut... ein Anfall mörderischer^ sinnloser Monomanie, der sich mit keiner alkoholischen Vergiftung ver­gleichen läßt... ich habe selbst während meines Aufenthaltes einige Fälle studiert — für andere ist man ja immer sehr klug und sehr sachlich —, ohne aber je das furchtbare Geheimnis ihres Ursprungs freilegen zu können... Irgendwie hängt es mit dem Klima zusammen, mit dieser schwülen, geballten Atmo­sphäre, die auf die Nerven wie ein Gewitter drückt, bis sie einmal losspringen... Also Amok... ja, Amok, das ist so: ein Malaie, irgendein ganz einfacher, ganz gutmütiger Mensch, trinkt sein Gebräu in sich hinein... er sitzt da, stumpf, gleich­gültig, matt... so wie ich in meinem Zimmer saß... und plötz­lich springt er auf, faßt den Dolch und rennt auf die Straße... rennt geradeaus, immer nur geradeaus... ohne zu wissen wo­hin... Was ihm in den Weg tritt, Mensch oder Tier, das stößt er nieder mit seinem Kris, und der Blutrausch macht ihn nur noch hitziger... Schaum tritt dem Laufenden vor die Lippen, er heult wie ein Rasender... aber er rennt, rennt, rennt, sieht nicht mehr nach rechts, sieht nicht nach links, rennt nur mit seinem gellen Schrei, seinem blutigen Kris in dieses entsetzli­che Geradeaus... Die Leute in den Dörfern wissen, daß keine Macht einen Amokläufer aufhalten kann... so brüllen sie war­nend voraus, wenn er kommt: ,Amok! Amok!', und alles flüch­tet... er aber rennt, ohne zu hören, rennt, ohne zu sehen, stößt nieder, was ihm begegnet... bis man ihn totschießt wie einen tollen Hund oder er selbst schäumend zusammenbricht.


Einmal habe ich das gesehen, vom Fenster meines Bunga­low aus... es war grauenhaft... aber nur dadurch, daß ich's gesehen habe, begreife ich mich selbst in jenen Tagen... denn so, genau so, mit diesem furchtbaren Blick geradeaus, ohne nach rechts oder links zu sehen, mit dieser Besessenheit stürm­te ich los... dieser Frau nach... Ich weiß nicht mehr, wie ich alles tat, in so rasendem Lauf, in so unsinniger Geschwindig­keit flog es vorbei... Zehn Minuten, nein, fünf, nein, zwei... nachdem ich alles von dieser Frau wußte, ihren Namen, ihr Haus, ihr Schicksal, jagte ich schon auf einem rasch geborg­ten Rad in mein Haus zurück, warf einen Anzug in den Kof­fer, steckte Geld zu mir und fuhr zur Eisenbahnstation mit einem Wagen... fuhr, ohne mich abzumelden beim Distrikts­beamten... ohne einen Vertreter zu ernennen, ließ das Haus offen stehen und liegen, wie es war... Um mich standen Die­ner, die Weiber staunten und fragten, ich antwortete nicht, wandte mich nicht um... fuhr zur Eisenbahn und mit dem näch­sten Zug hinab in die Stadt... Eine Stunde nur, nachdem diese Frau in mein Zimmer getreten, hatte ich meine Existenz hin­ter mich geworfen und rannte Amok ins Leere hinein...

Geradeaus rannte ich, mit dem Kopf gegen die Wand... um sechs Uhr abends war ich angekommen... um sechs Uhr zehn war ich in ihrem Haus und ließ mich melden... Es war... Sie werden es verstehen... das Sinnloseste, das Stupideste, was ich tun konnte... aber der Amokläufer rennt ja mit leeren Au­gen, er sieht nicht, wohin er rennt... Nach einigen Minuten kam der Diener zurück... höflich und kühl... die gnädige Frau sei nicht wohl und könne nicht empfangen...

Ich taumelte die Türe hinaus... Eine Stunde schlich ich noch um das Haus herum, besessen von der wahnwitzigen Hoff­nung, sie würde vielleicht nach mir suchen... dann erst nahm ich mir ein Zimmer im Strandhotel und zwei Flaschen Whisky auf das Zimmer... die und eine doppelte Dosis Veronal halfen mir... ich schlief endlich ein... und dieser dumpfe, schlammige Schlaf war die einzige Pause in diesem Rennen zwischen Le­ben und Tod."

Die Schiffsglocke klang. Zwei harte, volle Schläge, die noch im weichen Teich der fast reglosen Luft zitternd weiter­schwangen und dann verebbten in das leise, unaufhörliche Rau­schen, das unter dem Kiele und zwischen der leidenschaftli­chen Rede beharrlich mitlief. Der Mensch im Dunkeln mir ge­genüber mußte erschreckt aufgefahren sein, seine Rede stockte. Wieder hörte ich die Hand hinab zur Flasche fingern, wieder das leise Glucksen. Dann begann er gleichsam beruhigt, mit einer festeren Stimme.

Die Stunden von diesem Augenblick an kann ich Ihnen kaum erzählen. Ich glaube heute, daß ich damals Fieber hat­te, jedenfalls war ich in einer Art Überreiztheit, die an Toll­heit grenzte — ein Amokläufer, wie ich Ihnen sagte. Aber ver­gessen Sie nicht, es war Dienstag nachts, als ich ankam, Sams­tag aber sollte — dies hatte ich inzwischen erfahren — ihr Gatte mit dem P. & 0.-Dampfer von Yokohama eintreffen, es blieben also nur drei Tage, drei knappe Tage für den Entschluß und für die Hilfe. Verstehen Sie das: ich wußte, daß ich ihr sofort helfen mußte, und konnte doch kein Wort zu ihr spre­chen. Und gerade dieses Bedürfnis, mein lächerliches,.mein tollwütiges Benehmen zu entschuldigen, das hetzte mich wei­ter. Ich wußte um die Kostbarkeit jedes Augenblicks, ich wußte, daß es für sie um Leben und Tod ging, und hatte doch keine Möglichkeit, mich nur mit einem Flüstern, mit einem Zeichen ihr zu nähern, denn gerade das Stürmische, das Tölpische meines Nachrennens hatte sie erschreckt. Es war... ja, war­ten Sie... es war, als ob einer einem nachrennt, um ihn zu warnen vor einem Mörder, und der andere hält ihn selbst für den Mörder, und so rennt er weiter in sein Verderben... sie sah nur den Amokläufer in mir, der sie verfolgte, um sie zu demütigen, aber ich... das war ja der entsetzliche Widersinn... ich dachte gar nicht mehr an das... ich war ja schon ganz ver­nichtet, ich wollte ihr nur helfen, ihr nur dienen... einen Mord hätte ich getan, ein Verbrechen, um ihr zu helfen... Aber sie, sie verstand es nicht. Als ich morgens aufwachte und gleich wieder hinlief zu ihrem Haus, stand der Boy vor der Tür, der­selbe Boy, den ich ins Gesicht geschlagen, und als er mich von ferne sah — er mußte auf mich gewartet haben —, huschte er hinein in die Tür. Vielleicht tat er es nur, um mich im gehei­men anzumelden... vielleicht... ah, diese Ungewißheit, wie pei­nigt sie mich jetzt... vielleicht war schon alles bereit, mich zu empfangen... aber da, als ich ihn sah, mich erinnerte an mei­ne Schmach, da war ich es wieder, der nicht wagte, noch ein­mal den Besuch zu wiederholen... Die Knie zitterten mir. Knapp vor der Schwelle drehte ich mich um und ging wieder weg... ging weg, während sie vielleicht in ähnlicher Qual auf mich wartete.

Ich wußte jetzt nicht mehr, was tun in der fremden Stadt, die an meinen Fersen wie Feuer glühte... Plötzlich fiel mir et­was ein, schon rief ich einen Wagen und fuhr zum Vizeresi­denten, zu demselben, dem ich damals in meiner Station ge­holfen, und ließ mich melden... Irgend etwas muß schon in meinem äußern Wesen befremdend gewesen sein, denn er sah mich mit einem gleichsam erschreckten Blick an, und seine Höflichkeit hatte etwas Beunruhigtes... vielleicht erkannte er schon den Amokläufer in mir... Ich sagte ihm kurz entschlos­sen, ich erbäte meine Versetzung in die Stadt, ich könne auf meinem Posten nicht mehr länger existieren... ich müsse so­fort übersiedeln... Er sah mich... ich kann Ihnen nicht sagen, wie er mich ansah... so, wie eben ein Arzt einen Kranken an­sieht... ,Ein Nervenzusammenbruch, lieber Doktor', sagte er dann, ,ich verstehe das nur zu gut. Nun, es wird sich schon einrichten lassen; aber warten Sie... sagen wir vier Wochen... ich muß erst einen Ersatz finden.' — ,Ich kann nicht warten, nicht einen Tag', antwortete ich. Wieder kam dieser merk­würdige Blick. ,Es muß gehen, Doktor', sagte er ernst, ,wir dürfen die Station nicht ohne Arzt lassen. Aber ich verspre­che Ihnen, daß ich noch heute alles einleite. Ich blieb stehen, mit verbissenen Zähnen: zum erstenmal spürte ich deutlich, daß ich ein verkaufter Mensch, ein Sklave sei. Schon ballte sich alles zu einem Trotz zusammen, aber er, der Geschmei­dige, kam mir zuvor: ,Sie sind menschenentwöhnt, Doktor, und das wird schließlich eine Krankheit. Wir haben uns alle gewundert, daß Sie nie herkamen, nie Urlaub nahmen. Sie brauchen mehr Geselligkeit, mehr Anregung. Kommen Sie doch wenigstens diesen Abend, wir haben heute Empfang bei der Regierung, Sie finden die ganze Kolonie, und manche wollten Sie längst kennenlernen, haben oft nach Ihnen gefragt und Sie hierhergewünscht.


Das letzte Wort riß mich auf. Nach mir gefragt? Sollte sie es gewesen sein? Ich war plötzlich ein anderer: sofort dankte ich ihm höflichst für seine Einladung und sicherte mein Kom­men pünktlich zu. Und ich war auch pünktlich, viel zu pünkt­lich. Muß ich Ihnen erst sagen, daß ich,.von meiner Ungeduld gejagt, der erste in dem großen Saale des Regierungsgebäudes war, schweigend umgeben von den gelben Dienern, die'mit ih­ren nackten Sohlen wippend hin und her eilten und mich — wie mir in meinem verwirrten Bewußtsein dünkte — hinter­rücks belächelten. Eine Viertelstunde war ich der einzige Eu­ropäer inmitten all der geräuschlosen Vorbereitungen und so allein mit mir, daß ich das Ticken der Uhr in meiner Westen­tasche hörte. Dann kamen endlich ein paar Regierungsbeam­te mit ihren Familien, schließlich auch der Gouverneur, der mich in ein längeres Gespräch zog, in dem ich beflissen und, wie ich glaube, geschickt antwortete, bis... bis ich plötzlich, von einer geheimnisvollen Nervosität befallen, alle Geschmei­digkeit verlor und zu stammeln begann. Obgleich mit dem Rücken gegen die Saaltür gelehnt, spürte ich mit einem Male, daß sie eingetreten, daß sie anwesend sein müßte: ich könnte Ihnen nicht sagen, wieso mich diese plötzliche Gewißheit ver­wirrend faßte, aber noch während ich mit dem Gouverneur sprach, den Klang seiner Worte im Ohr, spürte ich im Rücken irgendwo ihre Gegenwart. Glücklicherweise beendete der Gou­verneur bald das Gespräch — ich glaube, ich hatte mich sonst brüsk umgewandt, so stark war dieses geheimnisvolle Ziehen in meinen Nerven, so brennend gereizt meine Begier. Und wirk­lich, kaum daß ich mich umwandte, sah ich sie schon ganz genau an jener Stelle, wo sie unbewußt mein Gefühl geahnt. Sie stand in einem gelben Ballkleid, das ihre schmalen, reinen Schultern wie mattes Elfenbein vorleuchten ließ, plaudernd inmitten einer Gruppe. Sie lächelte, aber doch, mir war, als hätte ihr Gesicht einen gespannten Zug. Ich trat näher — sie konnte mich nicht sehen oder wollte mich nicht sehen — und blickte in dieses Lächeln, das gefällig und höflich um die schma­len Lippen zitterte. Und dieses Lächeln berauschte mich von neuem, weil es... nun, weil ich wußte, daß es Lüge war, Kunst oder Technik, Meisterschaft der Verstellung. Mittwoch ist heu­te, fuhr mir durch den Kopf, Samstag kommt das Schiff mit dem Gatten... wie kann sie so lächeln, so... so sicher, so sorg­los lächeln-und den Fächer lässig in der Hand spielen lassen, statt ihn zu zerkrampfen in Angst? Ich... ich, der Fremde... ich zitterte seit zwei Tagen vor jener Stunde... ich, der Frem­de, lebte ihre Angst, ihr Entsetzen mit allen Exzessen des Ge­fühls mit... und sie ging auf den Ball und lächelte, lächelte, lächelte.

Rückwärts setzte die Musik ein. Der Tanz begann. Ein älterer Offizier hatte sie aufgefordert, sie verließ mit einer Entschuldigung den plaudernden Kreis und schritt an seinem Arm gegen den andern Saal zu, an mir vorbei. Als sie mich erblickte, spannte sich plötzlich ihr Gesicht gewaltsam zu­sammen — aber nur eine Sekunde lang, dann nickte sie mir mit einem höflichen Erkennen (ehe ich mich noch zu grüßen oder nicht zu grüßen entschlossen hatte) wie einem zufälli­gen Bekannten zu:

,Guten Abend, Doktor', und war schon vorbei. Niemand hatte ahnen können, was in diesem graugrünen Blick verbor­gen war, und ich, ich selbst wußte es nicht. Warum grüßte sie... warum erkannte sie mich nun mit einmal an?... War das Abwehr, war es Annäherung, war es nur die Verlegenheit der Überraschung? Ich kann Ihnen nicht schildern, in welcher Er­regtheit ich zurückblieb, alles war aufgewühlt, war explosiv in mir zusammengepreßt, und als ich sie so sah, lässig walzend am Arme des Offiziers, auf der Stirne den kühlen Glanz der Sorglosigkeit, indes ich doch wußte, daß sie... daß sie so wie ich nur daran... daran dachte... daß wir zwei allein hier ein furchtbares Geheimnis gemeinsam hatten... und sie walzte... in diesen Sekunden wurde meine Angst, meine Gier und meine Bewunderung noch mehr Leidenschaft als jemals. Ich weiß nicht, ob mich jemand beobachtet hat, aber gewiß verriet ich mich in meinem Verhalten noch viel mehr, als sie sich verbarg

ich konnte eben nicht in eine andere Richtung schaen, ich mußte... ja, ich mußte sie ansehen, ich sog, ja, ich zerrte von ferne an ihrem verschlossenen Gesicht, ob die Maske nicht für eine Sekunde fallen wollte. Und sie mußte diesen starren Blick unangenehm empfunden haben. Als sie am Arme ihres Tän­zers zurückschritt, sah sie mich im Blitzlicht einer Sekunde an, scharf befehlend, wie wegweisend: wieder spannte sich jene kleine Falte des hochmütigen Zornes, die ich schon von da­mals kannte, böse über ihrer Stirn.

Aber... aber... ich sagte es Ihnen ja... ich lief Amok, ich sah nicht nach rechts und nicht nach links. Ich verstand sie sofort — dieser Blick hieß: Sei nicht auffällig! Bezähme dich!


Ich wußte, daß sie... wie soll ich es sagen?., daß sie Diskre­tion des Benehmens hier im offenen Saal von mir wollte... ich verstand, daß, wenn ich jetzt heimginge, ich morgen gewiß sein könne, von ihr empfangen zu werden... daß sie es nur jetzt, nur jetzt vermeiden wollte, meiner auffälligen Vertraulichkeit ausgesetzt zu sein, daß sie — und wie sehr mit Recht — von meinem Ungeschick eine Szene fürchtete... Sie sehen... ich wußte alles, ich verstand diesen befehlenden grauen Blick, aber... aber es war zu stark in mir, ich mußte sie sprechen. Und so schwankte ich hin zu der Gruppe, in der sie plaudernd stand, schob mich — obwohl ich nur einige der Anwesenden kannte — ganz an den lockeren Kreis heran, nur aus Begier, sie sprechen zu hören, und doch immer scheu mich duckend wie ein geprügelter Hund vor ihrem Blick, wenn er kalt an mir vorbeistreifte, als sei ich eine der Leinenportieren, an der ich lehnte, oder die Luft, die sich leicht bewegte. Aber ich stand, durstig nach einem Wort, das sie zu mir sprechen sollte, nach einem Zeichen des Einverständnisses, stand und stand starren Blickes inmitten des Geplauders wie ein Block. Unbedingt mußte es schon auffällig geworden sein, unbedingt, denn kei­ner richtete ein Wort an mich, und sie mußte leiden unter mei­ner lächerlichen Gegenwart.

Wie lange ich so gestanden hatte, ich weiß es nicht... eine Ewigkeit vielleicht... ich konnte ja nicht fort aus dieser Be­zauberung des Willens. Gerade die Hartnäckigkeit meiner Wut lähmte mich... Aber sie ertrug es nicht länger... plötzlich wand­te sie sich mit der prachtvollen Leichtigkeit ihres Wesens ge­gen die Herren und sagte: Ich bin ein wenig müde... ich will heute einmal früher zu Bett gehen... Gute Nacht!1... Und schon streifte sie mit einem gesellschaftlich fremden Kopfnicken an mir vorbei... ich sah noch die hochgezogene Falte auf der Stirn und dann nur noch den Rücken, den weißen, kühlen, nackten Rücken. Eine Sekunde lang dauerte es, bevor ich begriff, daß sie fortging... daß ich sie nicht mehr sehen, nicht mehr spre­chen könnte diesen Abend, diesen letzten Abend der Rettung... einen Augenblick lang also stand ich noch starr, bis ich's be­griff... dann... dann...

Aber warten Sie... warten Sie... Sie werden sonst das Sinn­lose, das Stupide meiner Tat nicht verstehen... ich muß Ihnen erst den ganzen Raum schildern... Es war der große Saal des Regierungsgebäudes, ganz von Lichtern erhellt und fast leer, der ungeheure Saal... die Paare waren zum Tanz gegangen, die Herren zum Spiel... nur in den Ecken plauderten einige Gruppen... der Saal war also leer, jede Bewegung auffällig und im grellen Licht sichtbar... und diesen großen weiten Saal schritt sie langsam und leicht mit ihren hohen Schultern durch, ab und zu einen Gruß mit ihrer unbeschreiblichen Haltung er­widernd... mit dieser herrlichen, erfrorenen, hoheitlichen Ruhe, die mich an ihr so entzückte... Ich... ich war zurückge­blieben, ich sagte es Ihnen ja, ich war gleichsam gelähmt, be­vor ich es begriff, daß sie fortging... und da, als ich es begriff, war sie schon am andern Ende des Saales knapp vor der Türe... Da... oh, ich schäme mich jetzt noch, es zu denken... da pack­te es mich plötzlich an und ich lief, — hören Sie: ich lief... ich ging nicht, ich lief mit polternden Schuhen, die laut widerhall­ten, quer durch den Saal ihr nach... Ich hörte meine Schritte, ich sah alle Blicke erstaunt auf mich gerichtet... ich hätte vergehen können vor Scham... noch während ich lief, war mir schon der Wahnsinn bewußt... aber ich konnte... ich konn­te nicht mehr zurück... An der Tür holte ich sie ein... Sie wandte sich um... ihre Augen stießen wie ein grauer Stahl in mich hin­ein, ihre Nasenflügel zitterten vor Zorn... ich wollte eben zu stammeln anfangen... da... da., .lachte sie plötzlich hellauf... ein helles, unbesorgtes, herzliches Lachen, und sagte laut... so laut, daß es alle hören konnten:... „Ach, Doktor, jetzt fällt Ihnen erst das Rezept für meinen Buben ein... ja, die Herren der Wissenschaft... 'Ein paar, die in der Nähe standen, lach­ten gutmütig mit... ich begriff, ich taumelte unter der Meister­schaft, mit der sie die Situation gerettet hatte... griff in die Brieftasche und riß ein leeres Blatt vom Block, das sie lässig nahm, ehe sie... noch einmal mit einem kalten, dankenden Lächeln... ging... Mir war leicht in der ersten Sekunde... ich sah. daß mein Irrsinn durch ihre Meisterschaft gutgemacht, die Situation gewonnen... aber ich wußte auch sofort, daß al­les für mich verloren sei, daß diese Frau mich um meiner hit­zigen Narrheit willen haßte... haßte mehr als den Tod... daß ich nun hundertmal und hundertmal vor ihre Tür kommen könnte und sie mich wegweisen würde wie einen Hund.

Ich taumelte durch den Saal... ich merkte, daß die Leute auf mich blickten... ich muß sonderbar ausgesehen haben... Ich ging zum Büfett, trank zwei, drei, vier Glas Kognak hin­tereinander... das rettete mich vor. dem Umsinken... meine Nerven konnten schon nicht mehr, sie waren wie durchgeris­sen... Dann schlich ich durch eine Nebentür hinaus, heimlich wie ein Verbrecher... Um kein Fürstentum der Welt hätte ich jenen Saal nochmals durchschreiten können, wo ihr Lachen noch gell an allen Wänden klebte... ich ging... genau weiß ich's nicht mehr zu sagen, wohin ich ging... in ein paar Kneipen und soff mich an... soff mich an wie einer, der sich alles Wache wegsaufen will... aber... es ward mir nicht dumpf in den Sin­nen... das Lachen stak in mir, schrill und böse... das Lachen, dieses verfluchte Lachen konnte ich nicht betäuben... Ich irr­te dann noch am Hafen herum... meinen Revolver hatte ich zu Hause gelassen, sonst hätte ich mich erschossen. Ich dach­te an nichts anderes, und mit diesem Gedanken ging ich auch heim... nur mit diesem Gedanken an das Schubfach links im Kasten, wo mein Revolver lag... nur mit diesem einen Gedan­ken.


Daß ich mich dann nicht erschoß... ich schwöre Ihnen, das war nicht Feigheit... es wäre für mich eine Erlösung gewe­sen, den schon gespannten kalten Hahn abzudrücken... aber wie soll ich es Ihnen erklären... ich fühlte noch eine Pflicht in mir... ja, jene Pflicht zu helfen, jene verfluchte Pflicht... mich machte der Gedanke wahnsinnig, daß sie mich noch brauchen könnte, daß sie mich brauchte,... es war ja schon Donnerstag morgens, als ich heimkam, und Samstag... ich sagte es Ihnen ja... Samstag kam das Schiff, und daß diese Frau, diese hoch­mütige, stolze Frau, die Schande vor ihrem Gatten, vor der Welt nicht überleben würde, das wußte ich... Ah, wie mich solche Gedanken gemartert haben an die sinnlos vertane kost­bare Zeit, an meine irrwitzige Übereilung, die jede rechtzeiti­ge Hilfe vereitelt hatte... stundenlang, ja stundenlang, ich schwöre es Ihnen, bin ich im Zimmer umhergegangen, auf und ab, und habe mir das Hirn zermartert, wie ich mich ihr nä­hern, wie ich alles gutmachen, wie ich ihr helfen könnte... denn daß sie mich nicht mehr vorlassen würde in ihrem Haus, das war mir gewiß... ich hatte das Lachen noch in allen Nerven und das Zucken des Zornes um ihre Nasenflügel... stunden­lang, wirklich stundenlang bin ich so die drei Meter des schma­len Zimmers auf und ab gerannt... es war schon Tag, es war schon Vormittag...

Und plötzlich schmiß es mich hin zu dem Tisch... ich riß ein Bündel Briefblätter heraus und begann ihr zu schreiben... alles zu schreiben... einen hündisch winselnden Brief, in dem ich sie um Vergebung bat, in dem ich mich einen Wahnsinni­gen, einen Verbrecher nannte... in dem ich sie beschwor, sich mir anzuvertrauen... Ich schwor, in der nächsten Stunde zu verschwinden, aus der Stadt, aus der Kolonie, wenn sie woll­te: aus der Welt... nur verzeihen sollte sie mir und mir ver­trauen, sich helfen lassen in der letzten, der allerletzten Stun­de... Zwanzig Seiten fieberte ich so herunter... es muß ein tol­ler, ein unbeschreiblicher Brief wie aus einem Delirium gewe­sen sein, denn als ich aufstand vom Tisch, war ich in Schweiß gebadet... das Zimmer schwankte, ich mußte ein Glas Wasser trinken... Dann erst versuchte ich, den Brief noch einmal zu überlesen, aber mir graute nach den ersten Worten... zitternd faltete ich ihn zusammen, faßte schon ein Kuvert... Da plötz­lich durchfuhr's mich. Mit einem Male wußte ich das wahre, das entscheidende Wort. Und ich riß noch einmal die Feder zwischen die Finger und schrieb auf das letzte Blatt: ,Ich war­te hier im Strandhotel auf ein Wort der Verzeihung. Wenn ich bis sieben Uhr keine Antwort habe, erschieße ich mich/

Dann nahm ich den Brief, schellte einem Boy und hieß ihn das Schreiben überbringen. Endlich war alles gesagt — alles!" Etwas klirrte und kollerte neben uns. Mit einer heftigen Bewegung hatte er die Whiskyflasche umgestoßen; ich hörte, wie seine Hand ihr suchend am Boden nachtastete und sie dann mit einem plötzlichen Schwung faßte: in weitem Bogen warf er die geleerte Flasche über Bord. Einige Minuten schwieg die Stimme, dann fieberte er wieder fort, noch erregter und ha­stiger als zuvor.

,Ich bin kein gläubiger Christ mehr... für mich gibt es kei­nen Himmel und keine Hölle... und wenn es eine gibt, so fürchte ich sie nicht, denn sie kann nicht ärger sein als jene Stunden, die ich von vormittags bis abends erlebte... Denken Sie sich ein kleines Zimmer, heiß in der Sonne, immer glühender im Mittagsbrand... ein kleines Zimmer, nur Tisch und Stuhl und Bett... Und auf diesem Tisch nichts als eine Uhr und einen Revolver und vor dem Tisch einen Menschen... einen Men­schen, der nichts tut, als immer auf diesen Tisch, auf den Se­ kundenzeiger der Uhr starren... einen Menschen, der nicht ißt und nicht trinkt und nicht raucht und sich nicht regt... der immer nur... hören Sie: immer nur, drei Stunden lang... auf den weißen Kreis des Zifferblattes starrt und auf den kleinen Zeiger, der tickend den Kreis umläuft... So... so... habe ich diesen Tag verbracht, nur gewartet, gewartet, gewartet... aber gewartet wie... wie eben ein Amokläufer etwas tut, sinnlos, tierisch, mit dieser rasenden, geradlinigen Beharrlichkeit.

Nun... ich werde Ihnen diese Stunden nicht schildern... das läßt sich nicht schildern... ich verstehe ja selbst nicht mehr, wie man das erleben kann, ohne... ohne wahnsinnig zu wer­den... Also... um drei Uhr zweiundzwanzig Minuten... ich weiß es genau, ich starrte ja auf die Uhr... klopft es plötzlich an die Tür... Ich springe auf... springe, wie ein Tiger auf seine Beute springt, mit einem Ruck durch das ganze Zimmer zur Tür, reiße sie auf... ein ängstlicher kleiner Chinesenjunge steht draußen, einen zusammengefalteten Zettel in der Hand, und während ich gierig darnach greife, huscht er schon weg und ist verschwunden. Ich reiße den Zettel auf, will ihn lesen... und kann ihn nicht lesen... Mir schwankt es rot vor den Augen... denken Sie die Qual, ich habe endlich, habe endlich das Wort von ihr... und nun zittert und tanzt es mir vor den Pupillen... Ich tauche den Kopf ins Wasser... nun wird's mir klarer... Nochmals nehme ich den Zettel und lese: ,Zu spät! Aber war­ten Sie zu Hause! Vielleicht rufe ich Sie noch.',