Файл: VIERUNDZWANZIG STUNDEN AUS DEM LEBEN EINER FRAU.doc

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Und ehe er ein Wort entgegnen konnte, flüchtete ich hinaus, nur um das Zimmer nicht mehr zu sehen, und lief, ohne mich umzuwenden, aus dem Hause, dessen Namen ich ebensowenig wusste wie jenen des fremden Mannes, mit dem ich darin eine Nacht ver­bracht.»

Einen Atemzug lang unterbrach Mrs. С. ihre Erzäh­lung. Aber alles Gespannte und Gequälte war weg aus ihrer Stimme: wie ein Wagen, der schwer den Berg sich hinaufgemüht, dann aber von erreichter Höhe leicht rollend und geschwind die Senke herabrollt, so Äugel­te jetzt in entlasteter Rede ihr Bericht:

«Also: ich eilte in mein Hotel durch die morgend­lich erhellten Straßen, denen der Wettersturz alles Dumpfe vom Himmel so weggerissen, wie mir jetzt das qualhafte Gefühl. Denn vergessen Sie nicht, was ich Ih­nen früher sagte: Ich hatte nach dem Tode meines Mannes mein Leben vollkommen aufgegeben. Meine Kinder brauchten mich nicht, ich selber wollte mich nicht, und alles Leben ist Irrtum, das nicht zu einem bestimmten Zweck lebt. Nun war mir zum erstenmal unvermutet eine Aufgabe zugefallen: Ich hatte einen Menschen gerettet, ihn aus seiner Vernichtung aufge­rissen mit allem Aufgebot meiner Kräfte. Nur ein Kur­zes war noch zu überwinden, und diese Aufgabe musste zu Ende getan sein. Ich lief also in mein Hotel: der er­staunte Blick des Portiers, dass ich erst jetzt um neun Uhr morgens nach Hause kam, glitt an mir ab — nichts mehr von Scham und Arger über das Geschehnis druckte auf meine Sinne, sondern ein plötzliches Wie­derauf get anse in meines Lebenswillens, ein unvermutet neues Gefühl von der Notwendigkeit meines Daseins durchblutete warm die erfüllten Adern. In meinem Zim­mer kleidete ich mich rasch um, legte unbewusst (ich habe es erst später bemerkt) das Trauerkleid ab, um es mit einem helleren zu vertauschen, ging in die Bank, mir Geld zu beheben, hastete zum Bahnhof, mich nach der Abfahrt der Züge zu erkundigen; mit einer mir sel­ber erstaunlichen Entschlossenheit bewältigte ich noch außerdem ein paar andere Besorgungen und Verabre­dungen. Nun war nichts mehr zu tun, als mit dem mir vom Schicksal zugeworfenen Menschen die Abreise und endgültige Rettung zu erledigen.

Freilich, dies erforderte Kraft, ihm nun persönlich gegenüberzutreten. Denn alles Gestrige war im Dunkel geschehen, in einem Wirbel, wie wenn zwei Steine, von einem Sturzbach gerissen, plötzlich zusammengeschla­gen werden; wir kannten einander kaum von Angesicht zu Angesicht, ja ich war nicht einmal gewiss, ob jener Fremde mich überhaupt noch erkennen würde. Gestern — das war ein Zufall, ein Rausch, eine Besessenheit zweier verwirrter Menschen gewesen, heute aber tat es not, mich ihm offener preiszugeben als gestern, weil ich jetzt im unbarmherzig klaren Tageslicht mit meiner Per­son, mit meinem Gesicht, als lebendiger Mensch ihm gegenübertreten musste.

Aber alles ergab sich leichter, als ich dachte. Kaum hatte ich zu vereinbarter Stunde mich dem Kasino ge­nähert, als ein junger Mensch von einer Bank auf­sprang und mir entgegeneilte. Es war etwas dermaßen Spontanes, etwas so Kindliches, Absichtsloses und Be­glücktes in seinem Überraschtsein, wie in jeder seiner sprachmächtigen Bewegungen: er flog nur so her, den Strahl dankbarer und gleichzeitig ehrerbietiger Freude in den Augen, und schon senkten sie sich demütig, sobald sie die meinen vor seiner Gegenwart sich ver­wirren fühlten. Dankbarkeit, man spürt sie ja so selten bei Menschen, und gerade die Dankbarsten finden nicht den Ausdruck dafür, sie schweigen verwirrt, sie schämen sich und tun manchmal stockig, um ihr Ge­fühl zu verbergen. Hier aber in diesem Menschen, dem Gott wie ein geheimnisvoller Bildhauer alle Gesten der Gefühle sinnlich, schön und plastisch herauszwang, glühte auch die Geste der Dankbarkeit wie eine Lei­denschaft strahlend durch den Kern des Korpers. Er beugte sich über meine Hand, und die schmale Linie seines Knabenkopfes devot niedergesenkt, verharrte er so eine Minute in respektvollem, die Finger nur anstrei­fendem Kusse, dann erst trat er wieder zurück, fragte nach meinem Befinden, sah mich rührend an, und so viel Anstand war in jedem seiner Worte, dass in weni­gen Minuten die letzte Beängstigung von mir schwand. Und gleichsam spiegelhaft für die eigene Erhellung des Gefühles, leuchtete ringsum die Landschaft völlig ent­zaubert: das Meer, das gestern zornig erregte, lag so unbewegt still und hell, dass jeder Kiesel unter der klei­nen Brandung weiß bis zu uns herüberglänzte; das Ka­sino, dieser Höllenpfuhl, blickte maurisch blank in den ausgefegten, damastenen Himmel, und jener Kiosk, un­ter dessen Schutzdach uns gestern der plätschernde Regen gedrängt, war aufgebrochen zu einem Blumen­laden: hingeschüttet lagen dort weiß, rot, grün und bunt in gesprenkeltem Durcheinander breite Büsche von Blüten und Blumen, die ein junges Madchen in buntbrennender Bluse feilbot.

Ich lud ihn ein, zu Mittag in einem kleinen Restau­rant zu speisen; dort erzählte mir der fremde, junge Mensch die Geschichte seines tragischen Abenteuers. Sie war ganz Bestätigung meiner ersten Ahnung, als ich seine zitternden, nervengeschüttelten Hände auf dem grünen lisch gesehen. Er stammte aus einer al­ten Adelsfamilie des österreichischen Polens, war für die diplomatische Karriere bestimmt, hatte in Wien stu­diert und vor einem Monat das erste Examen mit außerordentlichem Erfolge abgelegt Um diesen Tag zu feiern, hatte ihn sein Onkel, ein höherer Offizier des Generalstabes, bei dem er wohnte, zur Belohnung mit einem Fiaker in den Prater geführt, und sie waren zu­sammen auf den Rennplatz gegangen. Der Onkel hat­te Glück beim Spiel, gewann dreimal hintereinander: mit einem dicken Pack erbeuteter Banknoten soupier­ten sie dann in einem eleganten Restaurant. Am näch­sten Tage nun empfing zur Belohnung für das erfolg­reiche Examen der angehende Diplomat von seinem Vater einen Geldbetrag in der Höhe seines Monatsgel­des; zwei Tage vorher wäre ihm diese Summe noch groß erschienen, nun aber, nach der Leichtigkeit je­nes Gewinnes, dünkte sie ihm gleichgültig und gering. So fuhr er gleich nach Tisch wieder zum Trabrennen, setzte wild und leidenschaftlich, und sein Glück oder vielmehr sein Unglück wollte, dass er mit dem Dreifa­chen jener Summe nach dem letzten Rennen den Pra­ter verließ. Und nun war Raserei des Spieles bald beim Rennen, bald in Kaffeehäusern oder in Klubs über ihn gekommen, die ihm Zeit, Studium, Nerven und vor allem sein Geld aufzehrte. Er vermochte rächt mehr zu denken, nicht mehr ruhig zu schlafen und am wenig­sten, sich zu beherrschen; einmal in der Nacht, nach Hause gekommen vom Klub, wo er alles verloren hat­te, fand er beim Auskleiden noch eine vergessene Banknote zerknüllt in seiner Weste. Es hielt ihn nicht, er zog sich noch einmal an und irrte herum, bis er in irgendeinem Kaffeehause ein paar Dominospieler fand, mit denen er noch bis ins Morgengrauen saß. Einmal half ihm seine verheiratete Schwester aus und zahlte die Schulden an Wucherer, die dem Erben eines großen Adelsnamens voll Bereitschaft kreditierten. Eine Zeitlang deckte ihn wieder das Spielglück — dann aber ging es unaufhaltsam abwärts, und je mehr er verlor, um so gieriger forderten ungedeckte Verpflichtungen und befristete Ehrenworte entscheidend erlösenden Gewinn. Längst hatte er schon seine Uhr, seine Klei­der versetzt, und schließlich geschah das Entsetzliche: er stahl der alten Tante zwei große Boutons, die sie selten trug, aus dem Schrank. Den einen versetzte er um einen hohen Betrag, den das Spiel noch am sel­ben Abend vervierfachte. Aber statt ihn nun auszulö­sen, wagte er das Ganze und verlor. Zur Stunde sei­ner Abreise war der Diebstahl noch nicht entdeckt, so versetzte er den zweiten Bouton und reiste, einer plötzlichen Eingebung folgend, in einem Zuge nach Monte Carlo, um sich im Roulette das erträumte Ver­mögen zu holen. Bereits hatte er hier seinen Koffer verkauft, seine Kleider, seinen Schirm, nichts war ihm geblieben als der Revolver mit vier Patronen und ein kleines, mit Edelsteinen besetztes Kreuz seiner Patin, der Fürstin X., von dem er sich nicht trennen wollte.


Aber auch dieses Kreuz hatte er um fünfzig Franken nachmittags verkauft, nur um abends noch ein letztes Mal die zuckende Lust des Spiele auf Tod und Leben versuchen zu können.

Das alles erzählte er mir mit Jener hinreißenden Anmut seines schöpferisch belebten Wesens. Und ich hörte zu, erschüttert, gepackt, erregt; aber nicht einen Augenblick kam mir der Gedanke, mich zu entrüsten, dass dieser Mensch an meinem Tisch doch eigentlich ein Dieb war. Hätte gestern jemand mir, einer Frau mit tadellos verbrachtem Leben, die In ihrer Gesellschaft strengste konventionelle Würdigkeit forderte, auch nur angedeutet, ich würde mit einem wildfremden jungen Menschen, kaum älter als mein Sohn, der Perlenbou-tons gestohlen hatte, vertraulich beisammensitzen ■—■ ich hätte ihn für sinnberaubt gehalten. Aber nicht einen Augenblick lang empfand ich bei seiner Erzählung et­was wie Entsetzen, erzählte er doch all dies dermaßen natürlich und mit einer solchen Leidenschaft, dass sei­ne Handlung eher als der Bericht eines Fiebers, einer Krankheit wirkte denn als ein Ärgernis. Und dann: wer selber gleich mir in der vergangenen Nacht etwas so kataraktisch Unerwartetes erfahren, dem hatte das Wort "unmöglich" mit einem Maie seinen Sinn verloren. Ich hatte eben in jenen zehn Stunden unfassbar mehr an Wlrkllchkeitswissen erlebt als vordem in vierzig bürger­lich verbrachten Jahren,

Fin anderes aber erschreckte mich dennoch an je­ner Beichte, und das war der fiebrige Glanz in seinen Augen, der alle Nerven seines Gesichtes elektrisch zu­cken Heß, wenn er von seiner Spielleidenschaft erzähl­te. Noch die Wiedergabe regte ihn auf, und mit furchtbarer Deutlichkeit zeichnete sein plastisches Gesicht jede Spannung lusthaft und qualvoll nach. Unwillkürlich begannen seine Hände, diese wundervollen, schmal­gelenkigen, nervösen Hände, genau wie am Spieltisch, selbst wieder raubtierhafte, jagende und flüchtende Wesen zu werden: ich sah sie, indes er erzählte, plötz­lich von den Gelenken herauf zittern, sich übermäch­tig krümmen und zusammenballen, dann wieder auf­schnellen und neu sich inelnanderknäulen. Und als er den Diebstahl der Boutons beichtete, da taten sie (Ich zuckte unwillkürlich zusammen), blitzhaft vorspringend, den raschen, diebischen Griff: ich sah geradezu, wie die Finger toll auf den Schmuck lossprangen und ihn ha­stig einschluckten in die Höhlung der Faust. Und mit einem namenlosen Erschrecken erkannte ich, dass die­ser Mensch vergiftet war von seiner Leidenschaft bis in den letzten Blutstropfen.

Nur das allein war es, was mich an seiner Erzäh« lung so sehr erschütterte und entsetzte, diese erbärmli­che Hörigkeit eines jungen, klaren, von eigentlicher Natur her, sorglosen Menschen an eine irrwitzige Pas­sion. So hielt ich es für meine erste Pflicht, meinem unvermuteten Schützling freundschaftlich zuzureden, er müsse sofort weg von Monte Carlo, wo die Versuchung am gefährlichsten sei, müsse noch heute zu seiner Fa­milie zurück, ehe das Verschwinden der Boutons be­merkt und seine Zukunft für immer verschüttet sei. Ich versprach ihm Geld für die Reise und die Auslösung des Schmuckes, freilich nur unter der Bedingung, dass er noch heute abreise und mir bei seiner Ehre schwö­re, nie mehr eine Karte anzurühren oder sonst Hasard zu spielen.

Nie werde ich vergessen, mit welcher erst demüti­gen, dann allmählich aufleuchtenden Leidenschaft der Dankbarkeit dieser fremde veriorene Mensch mir zuhör­te, wie er meine Worte trank, als ich ihm Hilfe ver­sprach; und plötzlich streckte er beide Hände über den Tisch, die meinen zu fassen mit einer mir unauslöschli­chen Gebärde gleichsam der Anbetung und heiligen Gelobens. In seinen hellen, sonst ein wenig wirren Augen standen Tränen, der ganze Körper zitterte ner­vös vor beglückter Erregung. Wie oft habe ich schon versucht, Ihnen die einzige Ausdrucksfähigkeit seiner Gebärden zu schildern, aber diese Geste vermag ich nicht darzustellen, denn es war eine so ekstatische, überirdische Beseligung, wie sie ein menschliches Ant­litz uns sonst kaum zuwendet, sondern jenem weißen Schatten nur war sie vergleichbar, wenn man erwa­chend aus einem Traum das entschwindende Antlitz eines Engels vor sich zu erblicken vermeint.

Warum es verschweigen: ich hielt diesem Blicke nicht stand. Dankbarkeit beglückt, weil man sie so sel­ten sichtbar erlebt, Zartgefühl tut wohl, und mir, dem gemessenen, kühlen Menschen, bedeutete solcher Über­schwang ein wohltuendes, ja beglückendes Neues. Und dann: gleichzeitig mit diesem erschütterten, zertretenen Menschen war auch die Landschaft nach dem gestri­gen Regen magisch aufgewacht. Herrllich glänzte, als wir aus dem Restaurant traten, das völlig beruhigte Meer, blau bis in den Himmel hinein und nur weiß überschwebt von Möwen dort in anderem, höherem Blau. Sie kennen ja die Rivieralandschaft. Sie wirkt immer schön, aber doch flach wie eine Ansichtskarte hält sie ihre immer satten Farben gemächlich hin, eine schlafende, träge Schönheit, die sich gleichmütig von jedem Blicke betasten lässt, orientalisch fast in ihrer ewig üppigen Bereitschaft. Aber manchmal, ganz sel­ten, gibt es dort Tage, da steht diese Schönheit auf, da bricht sie vor, da schreit sie einen gleichsam energisch an mit grellen, fanatisch funkelnden Farben, da schleu­dert sie einem ihre Blumenbuntheit sieghaft entgegen, da glüht, da brennt sie in Sinnlichkeit. Und ein solcher begeisterter Tag war auch damals aus dem stürmischen Chaos der Wettemacht vorgebrochen, weißgewaschen blinkte die Straße, türkisen der Himmel, und überall zündeten sich Büsche, farbige Fackeln, aus dem saftig durchfeuchteten Grün. Die Berge schienen plötzlich heller herangekommen in der entschwülten, vielsonni­gen Luft: sie scharten sich neugierig näher an das blank­polierte glitzernde Städtchen, in jedem Blicke spürte man heraustretend das Fordemde und Aufmunternde der Natur und wie sie unwillkürlich das Herz an sich riss. "Nehmen wir einen Wagen" sagte ich, "und fah­ren wir die Comiche entlang." I Er nickte begeistert: zum erstenmal seit seiner An­kunft schien dieser junge Mensch die Landschaft über­haupt zu sehen und zu bemerken. Bisher hatte er nichts gekannt als den dumpfigen Kasinosaal mit seinem schwülen, schweißigen Genich, dem Gedränge seiner hässlichen und verzerrten Menschen, und ein unwir­sches, graues, lärmendes Meer. Aber nun lag ausein­andergefaltet der ungeheure Fächer des übersonnten Strandes vor uns, und das Auge taumelte beglückt von Feme zu Feme. Wir fuhren im langsamen Wagen (es gab damals noch keine Automobile) den herrlichen Weg, vorbei an vielen Villen und Blicken: hundertmal, an jedem Haus, an jeder in Piniengrün verschatteten Villa kam es einen an als geheimster Wunsch: hier könn­te man leben, still, zufrieden, abseits von der Welt!


Bin ich jemals im Leben glücklicher gewesen als in jener Stunde? Ich weiß es nicht. Neben mir im Wagen saß dieser junge Mensch, gestern noch verkrallt in Tod und Verhängnis, und nun staunend vom weißen Sturz der Sonne übersprüht: ganze Jahre schienen von ihm gleichsam weggeglitten. Er schien ganz Knabe gewor­den, ein schönes, spielendes Kind mit übermütigen und gleichzeitig ehrfurchtsvollen Augen, an dem nichts mich mehr entzückte als sein wachsinniges Zartgefühl: klomm der Wagen zu steil aufwärts und hatten die Pferde Mühe, so sprang er gelenkig ab, von rückwärts nach­zuschieben. Nannte ich eine Blume oder deutete ich auf eine am Wege, so eilte er, sie abzupflücken. Eine klei­ne Kröte, die, vom gestrigen Regen verlockt, mühselig auf dem Wege kroch, hob er auf und trug sie sorgsam ins grüne Gras, damit sie nicht vom nachfahrenden Wa­gen zerdrückt werde; und zwischendurch erzählte er übermütig die lachendsten, anmutigsten Dinge: ich glaube, in diesem Lachen war eine Art Rettung für ihn, denn sonst hätte er singen müssen oder springen oder Tolles tun, so beglückt, so berauscht gebärdete sich sein plötzlicher Überschwang.

Als wir dann auf der Höhe ein winziges Dörfchen langsam durchfuhren, lüftete er plötzlich im Vorüberge­hen höflich den Hut. Ich staunte: wen grüßte er da, der Fremde unter Fremden? Er errötete leicht bei meiner Frage und erklärte, beinahe sich entschuldigend, wir seien an einer Kirche vorbeigefahren, und bei ihnen in Polen, wie in allen streng katholischen Ländern werde

es von Kindheit an geübt, vor jeder Kirche und jedem Gotteshaus den Hut zu senken. Diese schöne Ehrfurcht

vor dem Religiösen ergriff mich tief, gleichzeitig erin­nerte ich mich auch jenes Kreuzes, von dem er gespro­chen, und fragte ihn, ob er gläubig sei. Und als er mit einer ein wenig verschämten Gebärde bescheiden zu­gab, er hoffe, der Gnade teilhaftig zu sein, überkam mich plötzlich ein Gedanke. "Halten Sie!" rief ich dem Kutscher zu und stieg eilig aus dem Wagen. Er folgte mir verwundert: "Wohin gehen wir?" Ich antwortete nur: "Kommen Sie mit."

Ich ging, von ihm begleitet, zurück zur Kirche, ei­nem kleinen Landgotteshaus aus Backstein. Kalkig, grau und leer dämmerten innere Wände, die Tür stand of­fen, so dass ein gelber Kegel von Licht scharf hinein ins Dunkel schnitt, darin Schatten einen kleinen Altar umbauschten. Zwei Kerzen blickten, verschleierten Au­ges, aus der weihrauchwarmen Dämmerung. Wir tra­ten ein, er lüftete den Hut, tauchte die Hand in den Kessel der Entmündigung, bekreuzigte sich und beugte das Knie. Und kaum war er aufgestanden, so fasste ich ihn an. "Gehen Sie hin", drängte ich, "zu einem Altar oder irgendeinem Bild hier, das Ihnen heilig ist, und leisten Sie dort das Gelöbnis, das ich Ihnen vorspre­chen werde." Er sah mich an, erstaunt, beinahe er­schreckt. Aber schnell verstehend trat er hin zu einer Nische, schlug das Kreuz und kniete gehorsam nieder. "Sprechen Sie mir nach", sagte ich, selbst zitternd vor Erregung, "sprechen Sie mir nach: Ich schwöre..." — "Ich schwöre", wiederholte er, und ich setzte fort: ".. .dass ich niemals mehr an einem Spiel um Geld teil­nehme, welcher Art immer es sei, dass ich nie mehr mein Leben und meine Ehre dieser Leidenschaft aus­setzen werde."

Er wiederholte zitternd die Worte: deutlich und laut hafteten sie in der vollkommenen Leere des Raumes. Dann ward es einen Augenblick still, so still, dass man von außen das leise Brausen der Bäume hören konn­te, denen der Wind durch die Blätter griff. Und plötz­lich warf er sich wie ein Büßender hin und sprach mit einer Ekstase, wie ich es nie gehört hatte, rasche und wirr hintereinandergejagte Worte polnischer Sprache, die ich nicht verstand. Aber es musste ein ekstatisches Gebet sein, ein Gebet des Dankes und der Zerknir­schung, denn immer wieder beugte die stürmische Beichte sein Haupt demütig zum Pulte herab, immer leidenschaftlicher wiederholten sich die fremden Laute und immer heftiger ein und dasselbe mit unsäglicher Inbrunst herausgeschleuderte Wort Nie vordem, nie nachdem habe ich in einer Kirche der Welt so beten gehört. Seine Hände umklammerten krampfig dabei das hölzerne Betpult sein ganzer Körper war geschüt­telt von einem inneren Orkan, der ihn manchmal auf­riss, manchmal wieder niederwarf. Er sah, er fühlte nichts mehr: alles in ihm schien in einer andern Welt, in einem Fegefeuer der Verwandlung oder in einem Aufschwung zu einer heiligeren Sphäre. Endlich stand er langsam auf, schlug das Kreuz und wandte sich mühsam um. Seine Knie zitterten, sein Antlitz war blass wie das eines schwer Erschöpften. Aber als er mich sah, strahlte sein Auge auf, ein reines, ein wahrhaft from­mes Lächeln hellte sein fortgetragenes Gesicht; er trat näher heran, beugte sich russisch tief, fasste meine bei­den Hände, sie ehrfürchtig mit den Lippen zu berüh­ren: "Gott hat Sie mir gesandt Ich habe ihm dafür ge­dankt." Ich wusste nichts zu sagen. Aber ich hätte ge­wünscht, dass plötzlich über dem niederen Gestühl die Orgel anhebe zu brausen, denn ich fühlte, mir war al­les gelungen: diesen Menschen hatte ich für immer ge­rettet.


Wir traten aus der Kirche in das strahlende, strömen­de Licht dieses maihaften Tages zurück nie war mir die Welt schöner erschienen. Zwei Stunden fuhren wir noch im Wagen langsam den panoramenhaften, an jeder Kehre neuen Ausblick schenkenden Weg über die Hü­gel entlang. Aber wir sprachen nicht mehr. Nach die­sem Aufwand des Gefühls schien jedes Wort Vermin­derung. Und wenn mein Blick zufällig den seinen traf, so musste ich beschämt ihn wegwenden: es erschütterte mich zu sehr, mein eigenes Wunder zu sehen.

Gegen fünf Uhr nachmittags kehrten wir nach Mon­te Carlo zurück. Nun forderte mich noch eine Verabre­dung mit Verwandten, die abzusagen mir nicht mehr möglich war. Und eigentlich begehrte ich im Innersten eine Pause, ein Entspannen des zu gewaltsam aufge­rissenen Gefühls. Denn es war zuviel des Glückes. Ich spürte: ich musste ausruhen von diesem überheißen, diesem ekstatischen Zustand, wie ich ihn ähnlich nie in meinem Leben gekannt So bat ich meinen Schützling, nur für einen Augenblick zu mir ins Hotel zu kommen; dort in meinem Zimmer übergab ich ihm das Geld für die Reise und die Auslösung des Schmuckes. Wir ver­einbarten, dass er während meiner Verabredung sich die Fahrkarte besorge; dann wollten wir uns abends um sieben Uhr an der Eingangshalle des Bahnhofes tref­fen, eine halbe Stunde, ehe der Zug über Genua ihn nach Hause brachte. Als ich ihm die fünf Banknoten hinreichen wollte, wurden seine Lippen merkwürdig blass: "Nein... kein Geld... ich bitte Sie, kein Geld!" stieß er zwischen den Zähnen heraus, während seine Finger nervös und fahrig zurückzitterten. "Kein Geld... kein Geld... ich kann es nicht sehen", wiederholte er noch einmal, gleichsam von Ekel oder Angst körperlich überwältigt. Aber ich beruhigte seine Scham, es sei doch bloß geliehen, und fühle er sich bedrückt, so möge er mir eine Quittung ausstellen. "Ja... ja... eine Quittung*, murmelte er abgewandten Blickes, knitterte die Banknoten, wie etwas, das klebrig an den Fingern schmutzt, unbesehen in die lasche, und schrieb auf ein Blatt mit fliegend hingejagten Zügen ein paar Worte. Als er aufsah, stand feuchter Schweiß auf seiner Stir-ne: etwas schien von innen empor stoßhaft in ihm auf­zuwiegen, und kaum dass er jenes lose Blatt mir zuge­schoben, zuckte es ihn durch, und plötzlich — ich trat unwillkürlich erschrocken zurück — fiel er in die Knie und küsste mir den Saum des Kleides. Unbeschreibli­che Geste: ich zitterte am ganzen Leib von ihrer über­mächtigen Gewalt. Ein merkwürdiger Schauer kam über mich, ich wurde verwirrt und konnte nur stam­meln: "Ich danke Ihnen, dass Sie so dankbar sind. Aber bitte, gehen Sie jetzt! Abends sieben Uhr an der Ein­gangshalle des Bahnhofes wollen wir dann Abschied nehmen."

Er sah mich an, Glanz von Rührung durchfeuchte­te seinen Blick; einen Augenblick meinte ich, er wolle etwas sagen, einen Augenblick schien es, als ob er mir entgegendränge. Aber dann verbeugte er sich plötzlich noch einmal tief, ganz tief, und verließ das Zimmer.»

Wieder unterbrach Mrs. С. ihre Erzählung. Sie war aufgestanden und zum Fenster gegangen, blickte hin­aus und stand lange unbewegt an dem silhouettenhaft hingezeichneten Rücken sah ich ein leichtes, zitterndes Schwanken. Mit einem Male wandte sie sich entschlos­sen um, ihre Hände, bisher ruhig und unbeteiligt mach­ten plötzlich eine heftige, abteilende Bewegung, gleich­sam als wollten sie etwas zerreißen. Dann sah sie mich hart, beinahe kühn an und begann wieder mit einem Ruck:

«Ich habe Ihnen versprochen, ganz aufrichtig zu sein. Und ich sehe jetzt, wie notwendig dies Gelöbnis gewesen ist Denn erst nun, da ich mich zwinge, zum erstenmal im geregelten Zusammenhang den ganzen Ablauf jener Stunde zu schildern und klare Worte zu suchen für ein damals ganz ineinandergefaltetes und verworrenes Gefühl, jetzt erst verstehe ich vieles deut­lich, was ich damals nicht wusste oder vielleicht nur nicht wissen wollte. Und deshalb will ich hart und ent­schlossen mir selbst und auch Ihnen die Wahrheit sa­gen: damals, in jener Sekunde, als der junge Mensch das Zimmer verließ und ich allein zurückbiieb. hatte ich — wie eine Ohnmacht fiel es dumpf über mich — das Empfinden eines harten Stoßes gegen mein Herz: Ir­gend etwas hatte mir tödlich weh getan, aber ich wusste nicht — oder ich weigerte mich, zu wissen —, in wel­cher Art die doch rührend respektvolle Haltung meines Schützlings mich so schmerzhaft verwundete.

Aber jetzt, da ich mich zwinge, hart und ordnungs-haft alles Vergangene aus mir heraus wie ein Fremdes zu holen, und Ihre Zeugenschaft kein verbergen, kei­nen feigen Unterschlupf eines beschämenden Gefühls duldet, heute weiß ich klar was damals so weh tat war die Enttäuschung... die Enttäuschung, dass... dass die­ser junge Mensch so fügsam gegangen war... so ohne jeden Versuch, mich zu halten, bei mir zu bleiben..., dass er demütig und ehrfurchtsvoll meinem ersten Ver­such, abzureisen, sich fügte, statt... statt einen Versuch zu machen, mich an sich zu reißen... dass er mich ein­zig als eine Heilige verehrte, die ihm auf seinem Wege erschienen... und nicht... nicht mich fühlte als eine Frau.


Das war jene Enttäuschung für mich... eine Enttäu­chung, die ich mir nicht eingestand, damals nicht und später nicht, aber das Gefühl einer Frau weiß alles, ohne Worte und Bewusstsein. Denn — jetzt betrüge ich mich nicht länger — hatte dieser Mensch mich damals umfasst, mich damals gefordert, ich wäre mit ihm ge­gangen bis ans Ende der Welt, ich hätte meinen Na­men entehrt und den meiner Kinder... ich wäre, gleich­gültig gegen das Gerede der Leute und die innere Ver­nunft, mit ihm fortgelaufen wie jene Madame Henriet­te mit dem jungen Franzosen, den sie tags zuvor noch nicht kannte... ich hätte nicht gefragt, wohin und wie lange, nicht mich umgewandt mit einem Blick zurück In mein früheres Leben... ich hätte mein Geld, meinen Namen, mein Vermögen, meine Ehre diesem Menschen geopfert... ich wäre betteln gegangen, und wahrschein­lich gibt es keine Niedrigkeit dieser Weh, zu der er mich nicht hatte verleiten können. Alles, was man Scham nennt und Rücksicht unter den Menschen, hätte ich weggeworfen, wäre er nur mit einem Wort, mit einem Schritt auf mich zugetreten, hätte er versucht, mich zu fassen, so verloren war ich an ihn in dieser Sekunde.

Aber... ich sagte es Ihnen ja... dieser sonderbar benom­mene Mensch sah mich und die Frau in nur mit kei­nem Blick mehr... und wie sehr, wie ganz hingegeben ich ihm entgegenbrannte, das fühlte ich erst als ich al­lein mit mir war, als die Leidenschaft, die eben noch sein erhelltes, sein geradezu seraphisches Gesicht em­porriss, dunkel in mich zurückfiel und nun im Leeren einer verlassenen Brust wogte. Mühsam raffte ich mich auf. doppelt widrig lastete jene Verabredung. Mir war. als sei meiner Stirne ein schwerer eiserner, drückender Hehn übergestülpt unter dessen Gewicht ich schwank­te: meine Gedanken fielen lose auseinander wie mei­ne Schritte, als ich endlich hinüber in das andere Ho* tei zu meinen Verwandten ging. Dort saß ich dumpf inmitten regen Geplauders und erschrak immer wieder von neuem, blickte ich zufällig auf und sah in ihre un­bewegten Gesichter, die, im Vergleich mit jenem wie von licht- und schattenwerfendem Wolkenspiel beleb­ten, mir maskenhaft oder erfroren dankten. Als ob ich zwischen lauter Gestorbenen säße, so grauenhaft un­belebt war diese gesellige Gegenwart und während ich Zucker in die Tasse warf und abwesend mitkonversier-te, stieg immer innen, wie vom Rackern des Blutes hochgetrieben, jenes eine Antlitz auf, das zu beobach­ten mir inbrünstig Freude geworden war und das ich — entsetzlich zu denken! — in einer, in zwei Stunden zum letztenmal gesehen haben sollte. Unwillkürlich musste ich leise geseufzt oder aufgestöhnt haben, denn plötzlich beugte die Cousine meines Mannes sich zu mir: was mir sei, ob ich mich denn nicht ganz wohl füh­le, ich blicke so blass und bedrängt. Diese unvermute­te Frage half nun rasch und mühelos in eine rasche Aus rede, mich quale tri der Tat eine Migrane, sie möge mir

darum erlauben, mich unauffällig zu entfernen.

So mir selbst zurückgegeben, eilte ich unverzüglich

in mein Hotel. Und kaum dort allein, überkam mich neuerdings das Gefühl der Leere, des verlassensei ns und, hitzig damit verklammert, das Verlangen nach je­nem jungen Menschen, den ich heute für immer ver­lassen sollte. Ich fuhr hin und her im Zimmer, riss un­nütz Laden auf, wechselte Kleid und Band, um mich mit einmal vor dem Spiegel zu finden, prüfenden Bli­ckes, ob ich, dermaßen geschmückt, nicht doch den seinen zu binden vermöchte. Und jählings verstand ich mich selbst: alles tun, nur ihn nicht lassen! Und inner­halb einer gewalttätigen Sekunde wurde dieser Wille zum Entschluss. Ich lief hinunter zum Portier, kündigte ihm an, dass ich heute mit dem Abendzug abreise. Und nun galt es, eilig zu sein: ich klingelte dem Madchen, da» es mir behilflich sei, meine Sachen zu packen — die Zeit drängte ja; und während wir gemeinsam in wetteifernder Hast Kleider und kleines Gebrauchsgerät in die Koffer verstauten, träumte ich mir die ganze Überraschung aus: wie ich ihn an den Zug begleiten würde, um dann im letzten, im allerletzten Moment, wenn er mir die Hand schon zum Abschied geboten, plötzlich zudem Erstaunten in den Wagen zu steigen, mit ihm für diese Nacht, für die nächste — solange er mich wollte Eine Art entzückter, begeisterter Taumel wirbelte mir im Blut, manchmal lachte ich, zur Befrem­dung des Mädchens, indes ich Kleider in die Koffer warf, unvermutet laut auf: meine Sinne waren, ich fühl­te w awtachendurch. in Unordnung geraten. Und als der Lohndierier kam. die Koffer zu holen, starrte ich ihn erst fremd an: Es war zu schwer, an Sachliches zu denken, indes von innen her die Erregung mich so stark über­wogte.

Die Zeit drängte, knapp an sieben mochte es sein.

bestenfalls blieben da zwanzig Minuten bis zum Abgang des Zuges — freilich, tröstete ich mich, nun zählte mein Kommen ja nicht mehr als Abschied, seit ich entschlos­sen war, ihn auf seiner Fahrt zu begleiten, solange, so­weit er es duldete. Der Diener trug die Koffer voraus, ich hastete zur Hotelkasse, meine Rechnung zu beglei­chen. Schon reichte mir der Manager das Geld zurück, schon wollte ich weiter, da rührte eine Hand zärtlich an meine Schulter. Ich zuckte auf. Es war meine Cou­sine, die, beunruhigt durch mein angebliches Unwohl­sein, gekommen war, nach mir zu sehen. Mir dunkelte ее vor den Augen. Ich konnte sie jetzt nicht brauchen, jede Sekunde Verzögerung bedeutete verhängnisvolles Versäumnis, aber doch verpflichtete mich Höflichkeit, Ihr wenigstens eine Zeitlang Rede und Antwort zu ste­hen. "Du musst zu Bert", drängte sie, "du hast bestimmt Fieber." Und so mochte es wohl auch sein, denn die Pulse trommelten mir hart auf die Schläfen, und manchmal spürte ich jene vorschwebenden blauen Scharten naher Ohnmacht über den Augen. Aber ich wehrte ab, bemühte mich dankbar zu scheinen, indes jedes Wort mich brannte und Ich am liebsten ihre un­zeitgemäße Fürsorge mit dem Fuße weggestoßen hät­te. Doch die unerwünscht Besorgte blieb, blieb, blieb, bot mir Eau de Cologne, ließ fiche nicht nehmen, mir selbst das kühle um die Schläfen zu streichen; ich aber zahlte indes die Minuten, dachte gleichzeitig an ihn und wie ich einen Verwand finden könnte, dieser quälen den Anteilnahme zu entkommen. Und je unruhiger ich ward, desto mehr erschien ich ihr verdächtig: beinahe mit Gewalt wollte sie mich schließlich veranlassen, auf mein Zimmer zu gehen und mich niederzulegen. Da — inmitten ihres Zuspruches — sah ich auf einmal in der Mitte der Halle die Uhr: zwei Minuten vor halb acht, und um sieben Uhr 35 ging der Zug. Und brüsk, schuss­haft, mit der brutalen Gleichgültigkeit einer Verzweifel­ten stieß ich meiner Cousine die Hand geradewegs zu: "Adieu, ich muss fort!" und ohne mich um ihren erstarr­ten Blick zu kümmern, ohne mich umzusehen, stürmte ich an den verwunderten Hoteldienern vorbei und zur Türe hinaus, auf die Straße und dem Bahnhof zu. Be­reits an der erregten Gestikulation des Lohndieners, er stand dort wartend mit dem Gepäck, nahm ich von ferne wahr, es müsse höchste Zeit sein. Blindwütig stürmte ich hin zur Schranke, aber da wehrte wieder der Schaffner: ich hatte vergessen, ein Billett zu neh­men. Und während ich mit Gewalt beinahe ihn bere­den wollte, mich dennoch auf den Perron zu lassen, setzte sich der Zug bereits in Bewegung: ich starrte hin, zitternd an allen Gliedern, wenigstens noch einen Blick von irgendeinem der Waggonfenster zu erhaschen, ein Winken, einen Gruß. Aber ich konnte inmitten des eil­fertigen Geschiebes sein Antlitz nicht mehr wahrneh­men, immer rascher rollten die Wagen vorbei, und nach einer Minute blieb nichts als qualmendes, schwarzes Gewölk vor meinen verdunkelten Augen.