Файл: Otfried Preuler Krabat Das erste Jahr(первый год) Die Mhle im Koselbruch (мельница в Козельбрухе).doc
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die Exzellenz – превосходительство
nichts dagegen haben – не иметь ничего против
hervorpreschen – выбегать наружу
verdutzt – смущенный, озадаченный
unentwegt – непоколебимо
die nubischen Garden – нубийские гвардейцы
sich jmdm. entgegenstellen – противопоставить себя кому-л.
feuern auf jmdn. – стрелять в кого-л.
aus allen Rohren – из всех стволов
pfitschen und pfatschen – здесь: палить, лететь, свистеть
guter Dinge sein – быть в хорошем настроении
jmdm Schaden tun – принести вред
der Pfeil – стрела
sich umdrehen – обернуться
221 Der Feldherr trägt eine schwarze Lederklappe über dem linken Auge! «Was gibt's?» krächzt er Krabat mit rabenhaft heiserer Stimme an. «Steht Er in türkischen Diensten? Wie kommt Er zu mir ins Zelt?» «Gehorsamst zu melden», sagt Krabat. «Ich habe Befehl, Exzellenz da herauszuholen. Mein Ross steht bereit.» Jetzt nimmt auch der Rappe wieder Gestalt an. «Wenn Exzellenz nichts dagegen haben...», meint Krabat. Er schwingt sich aufs Ross und bedeutet dem Marschall, hinter ihm aufzusitzen. Dann preschen sie aus dem Zelt hervor. Die Janitscharen sind so verdutzt, dass sie keinen Finger rühren. Unentwegt «Platz da!» rufend, stürmt Krabat mit dem befreiten Marschall die Lagergasse hinunter. Bei ihrem Anblick lassen sogar die nubischen Garden des Sultans die Spieße und Säbel fallen. «Hussa!» schreit Krabat und «Festhalten, Exzellenz!» Niemand wagt es, sich ihnen entgegenzustellen. Schon sind sie am Ausgang des Lagers, schon draußen im freien Feld. Nun lässt Krabat den Rappen sich in die Lüfte erheben, und jetzt erst beginnen die Türken auf sie zu feuern, aus allen Rohren, das pfitscht und pfatscht nur so. Krabat ist guter Dinge, er fürchtet die türkischen Kugeln nicht. «Wenn die Burschen uns treffen wollten, müssten sie mit was Goldenem nach uns schießen», belehrt er den Marschall. «Kugeln aus Eisen und Blei tun uns keinen Schaden – und Pfeile auch nicht.» Die Schüsse verhallen, das Feuer wird eingestellt. Da hören die beiden Reiter ein Rauschen und Brausen vom Lager der Türken her, das rasch näher kommt. Krabat darf sich nicht umdrehen, während sie durch die Luft reiten; deshalb bittet er seinen Begleiter zurückzublicken. Der Marschall berichtet von einem riesigen schwarzen Adler, der sie verfolge. «Er stößt aus der Höhe herab, die Sonne im Rücken, den Schnabel auf uns gerichtet!»
gewaltige Wolken türmen sich auf – громоздятся огромные облака
durchstoßen – прорывать
zum Sturz ansetzen – готовиться к нападению
auf seinen Wink hin – по его сигналу
weit gefehlt – здесь: не попал, вот уж нет
jedem Orkan gewachsen sein – быть в состоянии сравиться с любым ураганом
sich geschlagen geben – признавать поражение
einholen – догонять
die Flinte – ружье
den goldenen Knopf in den Lauf stecken – вставить в ствол золотую пуговицу
aus der Hand gleiten lassen – выпустить из руки: «дать выскользнуть»
stöhnend hochfahren – вскочить со стоном
mit einem Aufschluchzen – с рыданием
sich hinwerfen – броситься
ein Würgen im Hals – спазм в горле
222 Krabat spricht eine Zauberformel: da türmen sich zwischen dem Adler und ihnen gewaltige Wolken auf, grau und dicht, ein Gebirge von Nebeln. Der Adler durchstößt es. «Da!» krächzt der Marschall. «Er setzt zum Sturz an!» Krabat hat längst begriffen, was für ein Adler das ist, der sie da verfolgt; es wundert ihn nicht im mindesten, dass er sie anruft. «Kehrt um!» ruft der Adler, «oder ihr seid des Todes!» Er ruft es mit einer Stimme, die Krabat kennt. Woher kennt er sie? Keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen! Auf seinen Wink hin erhebt sich ein Sturm, der den Adler zurückwirft, ihn wegfegen müsste vom Himmel wie einen Flederwisch – aber weit gefehlt: der Adler des Sultans ist jedem Orkan gewachsen. «Kehrt um!» ruft er. «Gebt euch geschlagen, bevor es zu spät ist!» «Die Stimme!» denkt Krabat. Nun hat er sie wiedererkannt: Es ist Juros Stimme, die Stimme des Freundes, mit dem er gemeinsam als Müllerbursche gedient hat, vor vielen Jahren im Koselbruch. «Der Adler!» berichtet der Marschall. «Gleich hat er uns eingeholt!» Plötzlich weiß Krabat auch wieder, wem diese Stimme gehört, die ihm da ins Ohr krächzt: «Sein Feuerrohr, Musketier! Warum schießt Er das Ungeheuer nicht einfach ab?» «Weil ich nichts Goldenes hab, um damit zu schießen.» Krabat ist froh, denn das stimmt sogar. Doch der Marschall von Sachsen, oder wer immer da hinter ihm sitzt – der Marschall reißt einen seiner goldenen Knöpfe vom Waffenrock. «Steck Er ihn in die Flinte – und schieß Er schon!» Juro, der Adler Juro, ist nur noch wenige Flügelschläge von ihnen entfernt. Krabat denkt nicht im Traum daran, ihn zu töten. Er gibt sich den Anschein, als ob er den goldenen Knopf in den Lauf seiner Büchse stecke: in Wirklichkeit lässt er ihn aus der Hand gleiten. «Schieß Er doch!» drängt der Marschall. «Schieß Er doch!» Ohne den Kopf zu wenden, drückt Krabat die Flinte auf den Verfolger ab, über die linke Schulter weg: blind, wie er weiß, nur mit Pulver geladen, ohne den Goldknopf im Lauf. Der Schuß kracht – und plötzlich ein gellender Todesschrei: «Krabat! Kra-baa-aaht!» Krabat erschrickt, lässt die Flinte fallen; dann schlägt er die Hände vor das Gesicht und weint. «Krabat!» gellt es ihm in den Ohren. «Kra-baa-aaht!» Krabat fuhr stöhnend hoch. Wie kam es, dass er mit einem Mal hier am Tisch saß – mit Andrusch und Petar und Merten und allen anderen? Wie sie ihn anstarrten, bleich und verschreckt – und wie jeder sofort den Blick senkte, wenn er merkte, dass Krabat zu ihm herübersah! Der Meister saß wie ein Toter an seinem Platz, weit zurückgelehnt, schweigend, als lauschte er in die Ferne. Auch Juro rührte sich nicht. Er lag mit dem Oberkörper über dem Tisch, das Gesicht nach unten, die Arme von sich gespreizt: Adlerschwingen vor wenigen Augenblicken noch, rauschende Fittiche. Neben Juro ein umgeworfener Becher. Ein Fleck auf der Tischplatte, dunkelrot: Wein oder Blut? Lobosch warf sich mit einem Aufschluchzen über Juro hin. «Er ist tot, er ist tot!» rief er. «Krabat, du hast ihn umgebracht!» Krabat spürte ein Würgen im Hals, er riss sich mit beiden Händen das Hemd auf.
sich auf die Hände stützen – опереться на руки
der Schädel brummt mir – у меня голова трещит
mir reicht´s – с меня достаточно
etw. überstehen – пережить что-л, выстоять
wie versteinert – как окаменевший
sich zusammenreimen – сочетаться, связываться, иметь смысл:
der Reim – рифма
zermalmen – раздавить
der Alptraum – страшный сон
an meiner Stelle – на моем месте
ungestüm – неистовый, неугомонный
untertauchen und auftauchen – нырять и выныривать
prustend und zähneklappernd – фыркая и стуча зубами
jmdm. einen Rippenstoß verstoßen – толкнуть кого-л. в бок
gräßlich – ужасно
in etw. bewandert sein – разбираться в чем-л.
223 Da sah er, wie Juro den einen Arm bewegte – und dann den anderen. Langsam, so schien es, kehrte das Leben in seinen Körper zurück. Er stützte sich auf die Hände, er hob das Gesicht – einen kreisrunden roten Fleck auf der Stirn, zwei Finger breit über der Nasenwurzel. «Juro!» Der kleine Lobosch packte ihn bei den Schultern. «Du lebst ja noch, Juro – du lebst ja!» «Was dachtest du denn?» meinte Juro. «Wir haben die Sache doch nur gespielt. Bloß: der Schädel brummt mir von Krabats Schuß, das nächste Mal mag ein anderer diesen Jirko machen, mir reicht's, ich geh schlafen.» Die Mühlknappen lachten erleichtert auf, und Andrusch sprach aus, was sie alle dachten: «Geh du nur schlafen, Bruder, geh du nur! Hauptsache, dass du es überstanden hast!» Krabat saß wie versteinert am Tisch. Der Schuß und der Schrei – und der fröhliche Trubel auf einmal: wie reimte sich das zusammen? «Aufhören!» fuhr der Meister dazwischen. «Aufhören, ich ertrag das nicht, setzt euch nieder und schweigt!» Er war aufgesprungen, er stützte sich mit der einen Hand auf den Tisch, mit der anderen hielt er den Becher umspannt, als wollte er ihn zermalmen. «Was ihr gesehen habt», rief er, «es ist nur ein Alptraum gewesen, aus dem man erwacht – und dann hat sich das... Ich aber hab die Geschichte mit Jirko nicht geträumt, damals in Ungarn: Ich hab ihn erschossen! Ich hab meinen Freund getötet, ihn töten müssen – wie Krabat es auch getan hat, wie jeder von euch es an meiner Stelle getan hätte, jeder!» Er hieb mit der Faust auf den Tisch, dass die Becher tanzten, er griff nach dem Weinkrug und trank daraus, ungestüm, gierig. Dann warf er den Krug an die Wand und schrie: «Geht jetzt! Hinaus mit euch, alle hinaus da! Ich will allein sein – allein – allein!» Auch Krabat wollte allein sein, er schlich aus der Mühle. Es war eine mondlose, aber sternklare Nacht. Er schritt durch die feuchten Wiesen zum Mühlenweiher – und als er hinabblickte auf das schwarze Wasser, aus dem ihm die Sterne entgegenfunkelten, spürte er das Verlangen, ein Bad zu nehmen. Er streifte die Kleider ab, glitt in den Weiher und schwamm ein paar Stöße vom Ufer weg. Das Wasser war kalt, er bekam einen klaren Kopf davon: den konnte er brauchen nach allem, was sich an diesem Abend ereignet hatte. Ein Dutzendmal tauchte er unter und wieder auf, dann kehrte er prustend und zähneklappernd ans Ufer zurück. Dort stand Juro mit einer Decke. «Du wirst dich erkälten, Krabat! Komm raus da, was soll denn das!» Er half Krabat an Land, schlug ihn in die Decke ein, wollte ihn trockenreiben. Krabat machte sich los von ihm. «Ich versteh das nicht, Juro», sagte er. «Ich versteh das nicht – dass ich auf dich geschossen habe.» «Du hast nicht auf mich geschossen, Krabat – nicht mit dem Goldknopf.» «Das weißt du?» «Ich hatte es kommen sehen, ich kenn dich doch.» Juro versetzte ihm einen Rippenstoß. «So ein Todesschrei mag sich gräßlich anhören, aber er kostet nichts.» «Und der Fleck auf der Stirn?» fragte Krabat. «Ach – der!» meinte Juro lachend. «Vergiss nicht, dass ich ein wenig in den Geheimen Wissenschaften bewandert bin: so weit reicht es beim dummen Juro gerade noch.»
keinen Anlass zu weiterem Argwohn bieten – не подавать повода для дальнейшей
den Verdacht loswerden – подозрительности
anlegen auf etw – избавиться от подозрения
jmdn. aufs Eis führen – стараться, стремиться перехитрить
beiläufig – между делом, между прочим
zu sprechen pflegen – любить повторять
nebensächliche Dinge – неважные вещи
sich nichts daraus machen – быть равнодушным к этому.
unter Leute kommen – быть среди людей
in Ruhe abwägen – спокойно обдумывать
jmdn. einweihen in etw. – посвещать кого-л. во что-л.
unterschätzen – недооценивать
е Zuversicht – глубокое убеждение, уверенность
jmdm. verwehrt sein – быть недоступным для кого-л
jmdn. in die Geschichte hereinziehen – впутать кого-л в историю
Ein Ring von Haar
224Krabat hatte im Sommer ein paarmal von seinem Vorrecht Gebrauch gemacht und war über Sonntag ausgegangen: weniger zum Vergnügen als wegen des Meisters, damit er ihm keinen Anlass zu weiterem Argwohn bot. Dennoch wurde er den Verdacht nicht los, dass der Müller es nach wie vor darauf anlegte, ihn aufs Eis zu führen. Seit er auf Juro geschossen hatte, waren drei Wochen vergangen, in denen der Meister kaum ein paar Worte mit Krabat gewechselt hatte; dann sagte er eines Abends zu ihm – und er sagte es beiläufig, wie man von nebensächlichen Dingen zu sprechen pflegt: «Nächsten Sonntag wirst du wohl nach Schwarzkollm gehen – oder?» «Wie das?» fragte Krabat. «Am Sonntag ist Kirmes drüben – ich könnte mir denken, dass das ein Grund wäre hinzugehen.» «Mal sehn», meinte Krabat. «Du weißt ja, ich mache mir nichts daraus, unter Leute zu kommen, wenn keiner von uns dabei ist.» Hinterher fragte er Juro um Rat, was er tun solle. «Hingehen», sagte Juro. «Was sonst?» «Das ist viel verlangt», meinte Krabat. «Es steht ja auch allerhand auf dem Spiel», sagte Juro. «Außerdem wäre das eine gute Gelegenheit, mit dem Mädchen zu sprechen.» Krabat war überrascht. «Du weißt, dass sie aus Schwarzkollm ist?» «Seit wir am Osterfeuer gesessen haben. Es war ja nicht schwer zu erraten.» «Dann kennst du sie?» «Nein», sagte Juro. «Ich will sie auch gar nicht kennen. Was ich nicht weiß, kann niemand aus mir herausbringen.» «Wie aber», fragte Krabat, «soll es dem Meister verborgen bleiben, wenn wir uns treffen?» «Du weißt ja», erwiderte Juro, «wie man den Kreis zieht.» Er griff in die Tasche, er drückte ihm das Stück Holz in die Hand. «Nimm es – und triff dich mit deinem Mädchen und sprich mit ihr!» Am Samstag ging Krabat früh zu Bett. Er wollte allein sein, er wollte noch einmal in Ruhe abwägen, ob er sich mit der Kantorka treffen sollte. Konnte er wagen, sie jetzt schon in alles einzuweihen? Bei den nächtlichen Übungen war es Krabat in letzter Zeit immer öfter gelungen, sich Juros Befehlen zu widersetzen. Manchmal war sogar Juro es, der als erster ins Schwitzen kam. Das habe nicht viel zu sagen, meinte er zwar, und Krabat dürfe nur ja nicht den Fehler machen, den Meister zu unterschätzen – aber aufs ganze gesehen stand es nicht schlecht für sie. Krabats Zuversicht war von Mal zu Mal größer geworden. Pumphutt hatte den Müller ja auch besiegt: warum sollte es ihm verwehrt sein? Er zählte auf Juros Hilfe – und auf die Kantorka. Aber das war es ja eben, worüber sich Krabat noch immer im Zweifel war: Ob er die Kantorka denn hineinziehen durfte in die Geschichte. Wer gab ihm das Recht dazu?
wert sein – бть достойным, стоить чего-л.
etw. aufs Spiel setzen – подвергать опасности, ставить на карту
unschlüssig – нерешительный
die Entscheidung treffen – принять решение
Hals über Kopf – сломя голову, опрометью
Aufschub gewinnen – выиграть время (отсрочку)
den Fortgang der Dinge abwarten – выжидать продолжения
beneiden – завидовать
Riesenbleche voll Streuselkuchen – кучи пирогов: полные противни обсыпных пирогов
Berge von süßen Kolatschen – горы сладких булочек
zum Kosten – чтобы попробовать
jmdm. zuvorkommen – обойти кого-л., опередить кого-л.
sich einbilden – вообразить себе
die Kirmes – ярмарка
die Vesper – полдник
225 War sein Leben es wert, das ihre aufs Spiel zu setzen? Krabat war unschlüssig. Einerseits musste er Juro beipflichten: die Gelegenheit, sich zu treffen, war günstig – wer weiß, wann sie wiederkehrte. Wenn nur das andere nicht gewesen wäre, die Ungewissheit, ob er der Kantorka morgen schon alles erzählen sollte – wo er doch mit sich selber noch nicht im reinen war. «Und wenn ich ihr», ging es ihm durch den Kopf, «nur so viel erzähle, dass sie im ganzen Bescheid weiß, worum es geht – doch den Tag und die Stunde der Prüfung verschweige ich...?» Krabat empfand ein Gefühl der Erleichterung. «Das bedeutet für sie, dass sie ihre Entscheidung nicht Hals über Kopf zu treffen braucht – und für mich, dass ich Aufschub gewinne, den Fortgang der Dinge abzuwarten: notfalls bis ganz zuletzt.» Die Mitgesellen beneideten Krabat, als er am Sonntag nach Tisch erklärte, der Müller habe ihm für den Rest des Tages Urlaub gegeben, weil in Schwarzkollm heut Kirmes sei. «Kirmes!» rief Lobosch. «Wenn ich das Wort bloß höre! Dann sehe ich Riesenbleche voll Streuselkuchen vor mir und Berge von süßen Kolatschen! Bringst du mir wenigstens was zum Kosten mit?» «Aber ja», wollte Krabat sagen; doch Lyschko kam ihm mit der Bemerkung zuvor, was Lobosch sich da wohl einbilde: Ob er denn glaube, dass Krabat nichts Besseres vorhabe in Schwarzkollm, als an Kuchen zu denken. «Nein!» widersprach ihm Lobosch. «Was Besseres gibt es auf keiner Kirmes!» Das sagte er so bestimmt, dass alle darüber lachen mussten. Krabat ließ sich von Juro eines der Brottücher geben, worin sie die Vesper mitnahmen, wenn sie zur Waldarbeit gingen oder zum Torfplatz; das faltete er zusammen und schob es sich unter die Mütze, dann meinte er: «Abwarten, Lobosch, was für dich übrigbleibt...» Krabat schlenderte aus dem Haus, er durchquerte den vorderen Koselbruch und schlug jenseits des Waldes den Feldweg ein, der um Schwarzkollm herumführte. An der Stelle, wo er am Ostermorgen der Kantorka gegenübergetreten war, zog er den Zauberkreis, darin ließ er sich nieder.
abernten – собирать урожай: die Ernte
das welke Laub – увядшая трава
jmdm. alle Gedanken zuwenden – направить все свои мысли на кого-либо
die Arme im Nacken verschränkt – скрестив руки на затылке
überdenken – обдумывать
von klarem Blau – чисто голубого цвета
der gefältete Sonntagsrock – нарядная юбка в складку
mit Blumen bedrucktes Seidentuch – шелковый платок в цветочек
spitzenbesetztes Häubchen – окаймленный кружевами платок
aus weißem Leinen – из белого льна
lang ist es her – давно это было
an dem Tuch zupfen – теребить платок
vorausgesetzt – предположим, …
dein Leben ist verwirkt – твоя жизнь потеряна
die Probe bestehen – выстоять испытание
226 Die Sonne schien, es war angenehm warm für die Jahreszeit. Kirmeswetter, mit einem Wort. Krabat blickte zum Dorf hinüber. Die Obstbäume in den Gärten waren schon abgeerntet, ein Dutzend vergessener Äpfel leuchtete gelb und rot aus dem welken Laub hervor. Halblaut sprach er die Formel, dann wandte er alle Gedanken dem Mädchen zu. «Es sitzt jemand hier im Grase», ließ er die Kantorka wissen, «der mit dir sprechen muss. Mach dich auf eine Weile frei für ihn, er verspricht dir auch, dass es nicht lange dauern soll. Niemand darf merken, wohin du gehst und mit wem du dich triffst: darum bittet er dich – und er hofft, dass du kommen kannst.» Eine Weile, das wusste er, würde er warten müssen. Er legte sich auf den Rücken, die Arme im Nacken verschränkt, um nochmals zu überdenken, was er der Kantorka sagen wollte. Der Himmel war hoch und von klarem Blau, wie er's nur im Herbst ist – und während er so hinaufblickte, wurden Krabat die Lider schwer. Als er aufwachte, saß die Kantorka neben ihm auf dem Rasen. Er konnte sich nicht erklären, weshalb sie auf einmal hier war. Da saß sie, geduldig wartend, in ihrem gefältelten Sonntagsrock, ein buntes, mit Blumen bedrucktes Seidentuch um die Schultern, das Haar unter einem spitzenbesetzten Häubchen aus weißem Leinen. «Kantorka», fragte er, «bist du schon lange da? Warum hast du mich nicht geweckt?» «Weil ich Zeit habe», sagte sie. «Und ich dachte mir, dass es besser ist, wenn du von selber aufwachst.» Er stützte sich auf den rechten Ellbogen. «Lang ist es her», begann er, «dass wir uns nicht gesehen haben.» «Ja, das ist lang her.» Die Kantorka zupfte an ihrem Tuch. «Nur im Traum bist du manchmal bei mir gewesen. Wir sind unter Bäumen dahingegangen, entsinnst du dich?» Krabat lachte ein wenig. «Ja, unter Bäumen», sagte er. «Es war Sommer – und warm war es – und du hast einen hellen Kittel getragen... Das weiß ich, als wäre es gestern gewesen.» «Und ich weiß es auch.» Die Kantorka nickte, sie wandte ihm das Gesicht zu. «Was ist es, weshalb du mich sprechen wolltest?» «Ach», meinte Krabat, «ich hätte es fast vergessen. – Du könntest mir, wenn du wolltest, das Leben retten...» «Das Leben?» fragte sie. «Ja», sagte Krabat. «Und wie?» «Das ist rasch erzählt.» Er berichtete ihr, in welche Gefahr er gekommen sei und wie sie ihm helfen könnte: vorausgesetzt, dass sie ihn unter den Raben herausfand. «Das sollte nicht schwer sein – mit deiner Hilfe», meinte sie. «Schwer oder nicht», hielt ihr Krabat entgegen. «Wenn du dir nur im klaren bist, dass auch dein eigenes Leben verwirkt ist, falls du die Probe nicht bestehst.»
keinen Augenblick zögern – не медлить ни минуты
jmdm. Botschaft senden – послать весточку
notfalls – в крайнем случае
nichts dagegen haben – не иметь ничего против
hervorpreschen – выбегать наружу
verdutzt – смущенный, озадаченный
unentwegt – непоколебимо
die nubischen Garden – нубийские гвардейцы
sich jmdm. entgegenstellen – противопоставить себя кому-л.
feuern auf jmdn. – стрелять в кого-л.
aus allen Rohren – из всех стволов
pfitschen und pfatschen – здесь: палить, лететь, свистеть
guter Dinge sein – быть в хорошем настроении
jmdm Schaden tun – принести вред
der Pfeil – стрела
sich umdrehen – обернуться
221 Der Feldherr trägt eine schwarze Lederklappe über dem linken Auge! «Was gibt's?» krächzt er Krabat mit rabenhaft heiserer Stimme an. «Steht Er in türkischen Diensten? Wie kommt Er zu mir ins Zelt?» «Gehorsamst zu melden», sagt Krabat. «Ich habe Befehl, Exzellenz da herauszuholen. Mein Ross steht bereit.» Jetzt nimmt auch der Rappe wieder Gestalt an. «Wenn Exzellenz nichts dagegen haben...», meint Krabat. Er schwingt sich aufs Ross und bedeutet dem Marschall, hinter ihm aufzusitzen. Dann preschen sie aus dem Zelt hervor. Die Janitscharen sind so verdutzt, dass sie keinen Finger rühren. Unentwegt «Platz da!» rufend, stürmt Krabat mit dem befreiten Marschall die Lagergasse hinunter. Bei ihrem Anblick lassen sogar die nubischen Garden des Sultans die Spieße und Säbel fallen. «Hussa!» schreit Krabat und «Festhalten, Exzellenz!» Niemand wagt es, sich ihnen entgegenzustellen. Schon sind sie am Ausgang des Lagers, schon draußen im freien Feld. Nun lässt Krabat den Rappen sich in die Lüfte erheben, und jetzt erst beginnen die Türken auf sie zu feuern, aus allen Rohren, das pfitscht und pfatscht nur so. Krabat ist guter Dinge, er fürchtet die türkischen Kugeln nicht. «Wenn die Burschen uns treffen wollten, müssten sie mit was Goldenem nach uns schießen», belehrt er den Marschall. «Kugeln aus Eisen und Blei tun uns keinen Schaden – und Pfeile auch nicht.» Die Schüsse verhallen, das Feuer wird eingestellt. Da hören die beiden Reiter ein Rauschen und Brausen vom Lager der Türken her, das rasch näher kommt. Krabat darf sich nicht umdrehen, während sie durch die Luft reiten; deshalb bittet er seinen Begleiter zurückzublicken. Der Marschall berichtet von einem riesigen schwarzen Adler, der sie verfolge. «Er stößt aus der Höhe herab, die Sonne im Rücken, den Schnabel auf uns gerichtet!»
gewaltige Wolken türmen sich auf – громоздятся огромные облака
durchstoßen – прорывать
zum Sturz ansetzen – готовиться к нападению
auf seinen Wink hin – по его сигналу
weit gefehlt – здесь: не попал, вот уж нет
jedem Orkan gewachsen sein – быть в состоянии сравиться с любым ураганом
sich geschlagen geben – признавать поражение
einholen – догонять
die Flinte – ружье
den goldenen Knopf in den Lauf stecken – вставить в ствол золотую пуговицу
aus der Hand gleiten lassen – выпустить из руки: «дать выскользнуть»
stöhnend hochfahren – вскочить со стоном
mit einem Aufschluchzen – с рыданием
sich hinwerfen – броситься
ein Würgen im Hals – спазм в горле
222 Krabat spricht eine Zauberformel: da türmen sich zwischen dem Adler und ihnen gewaltige Wolken auf, grau und dicht, ein Gebirge von Nebeln. Der Adler durchstößt es. «Da!» krächzt der Marschall. «Er setzt zum Sturz an!» Krabat hat längst begriffen, was für ein Adler das ist, der sie da verfolgt; es wundert ihn nicht im mindesten, dass er sie anruft. «Kehrt um!» ruft der Adler, «oder ihr seid des Todes!» Er ruft es mit einer Stimme, die Krabat kennt. Woher kennt er sie? Keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen! Auf seinen Wink hin erhebt sich ein Sturm, der den Adler zurückwirft, ihn wegfegen müsste vom Himmel wie einen Flederwisch – aber weit gefehlt: der Adler des Sultans ist jedem Orkan gewachsen. «Kehrt um!» ruft er. «Gebt euch geschlagen, bevor es zu spät ist!» «Die Stimme!» denkt Krabat. Nun hat er sie wiedererkannt: Es ist Juros Stimme, die Stimme des Freundes, mit dem er gemeinsam als Müllerbursche gedient hat, vor vielen Jahren im Koselbruch. «Der Adler!» berichtet der Marschall. «Gleich hat er uns eingeholt!» Plötzlich weiß Krabat auch wieder, wem diese Stimme gehört, die ihm da ins Ohr krächzt: «Sein Feuerrohr, Musketier! Warum schießt Er das Ungeheuer nicht einfach ab?» «Weil ich nichts Goldenes hab, um damit zu schießen.» Krabat ist froh, denn das stimmt sogar. Doch der Marschall von Sachsen, oder wer immer da hinter ihm sitzt – der Marschall reißt einen seiner goldenen Knöpfe vom Waffenrock. «Steck Er ihn in die Flinte – und schieß Er schon!» Juro, der Adler Juro, ist nur noch wenige Flügelschläge von ihnen entfernt. Krabat denkt nicht im Traum daran, ihn zu töten. Er gibt sich den Anschein, als ob er den goldenen Knopf in den Lauf seiner Büchse stecke: in Wirklichkeit lässt er ihn aus der Hand gleiten. «Schieß Er doch!» drängt der Marschall. «Schieß Er doch!» Ohne den Kopf zu wenden, drückt Krabat die Flinte auf den Verfolger ab, über die linke Schulter weg: blind, wie er weiß, nur mit Pulver geladen, ohne den Goldknopf im Lauf. Der Schuß kracht – und plötzlich ein gellender Todesschrei: «Krabat! Kra-baa-aaht!» Krabat erschrickt, lässt die Flinte fallen; dann schlägt er die Hände vor das Gesicht und weint. «Krabat!» gellt es ihm in den Ohren. «Kra-baa-aaht!» Krabat fuhr stöhnend hoch. Wie kam es, dass er mit einem Mal hier am Tisch saß – mit Andrusch und Petar und Merten und allen anderen? Wie sie ihn anstarrten, bleich und verschreckt – und wie jeder sofort den Blick senkte, wenn er merkte, dass Krabat zu ihm herübersah! Der Meister saß wie ein Toter an seinem Platz, weit zurückgelehnt, schweigend, als lauschte er in die Ferne. Auch Juro rührte sich nicht. Er lag mit dem Oberkörper über dem Tisch, das Gesicht nach unten, die Arme von sich gespreizt: Adlerschwingen vor wenigen Augenblicken noch, rauschende Fittiche. Neben Juro ein umgeworfener Becher. Ein Fleck auf der Tischplatte, dunkelrot: Wein oder Blut? Lobosch warf sich mit einem Aufschluchzen über Juro hin. «Er ist tot, er ist tot!» rief er. «Krabat, du hast ihn umgebracht!» Krabat spürte ein Würgen im Hals, er riss sich mit beiden Händen das Hemd auf.
sich auf die Hände stützen – опереться на руки
der Schädel brummt mir – у меня голова трещит
mir reicht´s – с меня достаточно
etw. überstehen – пережить что-л, выстоять
wie versteinert – как окаменевший
sich zusammenreimen – сочетаться, связываться, иметь смысл:
der Reim – рифма
zermalmen – раздавить
der Alptraum – страшный сон
an meiner Stelle – на моем месте
ungestüm – неистовый, неугомонный
untertauchen und auftauchen – нырять и выныривать
prustend und zähneklappernd – фыркая и стуча зубами
jmdm. einen Rippenstoß verstoßen – толкнуть кого-л. в бок
gräßlich – ужасно
in etw. bewandert sein – разбираться в чем-л.
223 Da sah er, wie Juro den einen Arm bewegte – und dann den anderen. Langsam, so schien es, kehrte das Leben in seinen Körper zurück. Er stützte sich auf die Hände, er hob das Gesicht – einen kreisrunden roten Fleck auf der Stirn, zwei Finger breit über der Nasenwurzel. «Juro!» Der kleine Lobosch packte ihn bei den Schultern. «Du lebst ja noch, Juro – du lebst ja!» «Was dachtest du denn?» meinte Juro. «Wir haben die Sache doch nur gespielt. Bloß: der Schädel brummt mir von Krabats Schuß, das nächste Mal mag ein anderer diesen Jirko machen, mir reicht's, ich geh schlafen.» Die Mühlknappen lachten erleichtert auf, und Andrusch sprach aus, was sie alle dachten: «Geh du nur schlafen, Bruder, geh du nur! Hauptsache, dass du es überstanden hast!» Krabat saß wie versteinert am Tisch. Der Schuß und der Schrei – und der fröhliche Trubel auf einmal: wie reimte sich das zusammen? «Aufhören!» fuhr der Meister dazwischen. «Aufhören, ich ertrag das nicht, setzt euch nieder und schweigt!» Er war aufgesprungen, er stützte sich mit der einen Hand auf den Tisch, mit der anderen hielt er den Becher umspannt, als wollte er ihn zermalmen. «Was ihr gesehen habt», rief er, «es ist nur ein Alptraum gewesen, aus dem man erwacht – und dann hat sich das... Ich aber hab die Geschichte mit Jirko nicht geträumt, damals in Ungarn: Ich hab ihn erschossen! Ich hab meinen Freund getötet, ihn töten müssen – wie Krabat es auch getan hat, wie jeder von euch es an meiner Stelle getan hätte, jeder!» Er hieb mit der Faust auf den Tisch, dass die Becher tanzten, er griff nach dem Weinkrug und trank daraus, ungestüm, gierig. Dann warf er den Krug an die Wand und schrie: «Geht jetzt! Hinaus mit euch, alle hinaus da! Ich will allein sein – allein – allein!» Auch Krabat wollte allein sein, er schlich aus der Mühle. Es war eine mondlose, aber sternklare Nacht. Er schritt durch die feuchten Wiesen zum Mühlenweiher – und als er hinabblickte auf das schwarze Wasser, aus dem ihm die Sterne entgegenfunkelten, spürte er das Verlangen, ein Bad zu nehmen. Er streifte die Kleider ab, glitt in den Weiher und schwamm ein paar Stöße vom Ufer weg. Das Wasser war kalt, er bekam einen klaren Kopf davon: den konnte er brauchen nach allem, was sich an diesem Abend ereignet hatte. Ein Dutzendmal tauchte er unter und wieder auf, dann kehrte er prustend und zähneklappernd ans Ufer zurück. Dort stand Juro mit einer Decke. «Du wirst dich erkälten, Krabat! Komm raus da, was soll denn das!» Er half Krabat an Land, schlug ihn in die Decke ein, wollte ihn trockenreiben. Krabat machte sich los von ihm. «Ich versteh das nicht, Juro», sagte er. «Ich versteh das nicht – dass ich auf dich geschossen habe.» «Du hast nicht auf mich geschossen, Krabat – nicht mit dem Goldknopf.» «Das weißt du?» «Ich hatte es kommen sehen, ich kenn dich doch.» Juro versetzte ihm einen Rippenstoß. «So ein Todesschrei mag sich gräßlich anhören, aber er kostet nichts.» «Und der Fleck auf der Stirn?» fragte Krabat. «Ach – der!» meinte Juro lachend. «Vergiss nicht, dass ich ein wenig in den Geheimen Wissenschaften bewandert bin: so weit reicht es beim dummen Juro gerade noch.»
keinen Anlass zu weiterem Argwohn bieten – не подавать повода для дальнейшей
den Verdacht loswerden – подозрительности
anlegen auf etw – избавиться от подозрения
jmdn. aufs Eis führen – стараться, стремиться перехитрить
beiläufig – между делом, между прочим
zu sprechen pflegen – любить повторять
nebensächliche Dinge – неважные вещи
sich nichts daraus machen – быть равнодушным к этому.
unter Leute kommen – быть среди людей
in Ruhe abwägen – спокойно обдумывать
jmdn. einweihen in etw. – посвещать кого-л. во что-л.
unterschätzen – недооценивать
е Zuversicht – глубокое убеждение, уверенность
jmdm. verwehrt sein – быть недоступным для кого-л
jmdn. in die Geschichte hereinziehen – впутать кого-л в историю
Ein Ring von Haar
224Krabat hatte im Sommer ein paarmal von seinem Vorrecht Gebrauch gemacht und war über Sonntag ausgegangen: weniger zum Vergnügen als wegen des Meisters, damit er ihm keinen Anlass zu weiterem Argwohn bot. Dennoch wurde er den Verdacht nicht los, dass der Müller es nach wie vor darauf anlegte, ihn aufs Eis zu führen. Seit er auf Juro geschossen hatte, waren drei Wochen vergangen, in denen der Meister kaum ein paar Worte mit Krabat gewechselt hatte; dann sagte er eines Abends zu ihm – und er sagte es beiläufig, wie man von nebensächlichen Dingen zu sprechen pflegt: «Nächsten Sonntag wirst du wohl nach Schwarzkollm gehen – oder?» «Wie das?» fragte Krabat. «Am Sonntag ist Kirmes drüben – ich könnte mir denken, dass das ein Grund wäre hinzugehen.» «Mal sehn», meinte Krabat. «Du weißt ja, ich mache mir nichts daraus, unter Leute zu kommen, wenn keiner von uns dabei ist.» Hinterher fragte er Juro um Rat, was er tun solle. «Hingehen», sagte Juro. «Was sonst?» «Das ist viel verlangt», meinte Krabat. «Es steht ja auch allerhand auf dem Spiel», sagte Juro. «Außerdem wäre das eine gute Gelegenheit, mit dem Mädchen zu sprechen.» Krabat war überrascht. «Du weißt, dass sie aus Schwarzkollm ist?» «Seit wir am Osterfeuer gesessen haben. Es war ja nicht schwer zu erraten.» «Dann kennst du sie?» «Nein», sagte Juro. «Ich will sie auch gar nicht kennen. Was ich nicht weiß, kann niemand aus mir herausbringen.» «Wie aber», fragte Krabat, «soll es dem Meister verborgen bleiben, wenn wir uns treffen?» «Du weißt ja», erwiderte Juro, «wie man den Kreis zieht.» Er griff in die Tasche, er drückte ihm das Stück Holz in die Hand. «Nimm es – und triff dich mit deinem Mädchen und sprich mit ihr!» Am Samstag ging Krabat früh zu Bett. Er wollte allein sein, er wollte noch einmal in Ruhe abwägen, ob er sich mit der Kantorka treffen sollte. Konnte er wagen, sie jetzt schon in alles einzuweihen? Bei den nächtlichen Übungen war es Krabat in letzter Zeit immer öfter gelungen, sich Juros Befehlen zu widersetzen. Manchmal war sogar Juro es, der als erster ins Schwitzen kam. Das habe nicht viel zu sagen, meinte er zwar, und Krabat dürfe nur ja nicht den Fehler machen, den Meister zu unterschätzen – aber aufs ganze gesehen stand es nicht schlecht für sie. Krabats Zuversicht war von Mal zu Mal größer geworden. Pumphutt hatte den Müller ja auch besiegt: warum sollte es ihm verwehrt sein? Er zählte auf Juros Hilfe – und auf die Kantorka. Aber das war es ja eben, worüber sich Krabat noch immer im Zweifel war: Ob er die Kantorka denn hineinziehen durfte in die Geschichte. Wer gab ihm das Recht dazu?
wert sein – бть достойным, стоить чего-л.
etw. aufs Spiel setzen – подвергать опасности, ставить на карту
unschlüssig – нерешительный
die Entscheidung treffen – принять решение
Hals über Kopf – сломя голову, опрометью
Aufschub gewinnen – выиграть время (отсрочку)
den Fortgang der Dinge abwarten – выжидать продолжения
beneiden – завидовать
Riesenbleche voll Streuselkuchen – кучи пирогов: полные противни обсыпных пирогов
Berge von süßen Kolatschen – горы сладких булочек
zum Kosten – чтобы попробовать
jmdm. zuvorkommen – обойти кого-л., опередить кого-л.
sich einbilden – вообразить себе
die Kirmes – ярмарка
die Vesper – полдник
225 War sein Leben es wert, das ihre aufs Spiel zu setzen? Krabat war unschlüssig. Einerseits musste er Juro beipflichten: die Gelegenheit, sich zu treffen, war günstig – wer weiß, wann sie wiederkehrte. Wenn nur das andere nicht gewesen wäre, die Ungewissheit, ob er der Kantorka morgen schon alles erzählen sollte – wo er doch mit sich selber noch nicht im reinen war. «Und wenn ich ihr», ging es ihm durch den Kopf, «nur so viel erzähle, dass sie im ganzen Bescheid weiß, worum es geht – doch den Tag und die Stunde der Prüfung verschweige ich...?» Krabat empfand ein Gefühl der Erleichterung. «Das bedeutet für sie, dass sie ihre Entscheidung nicht Hals über Kopf zu treffen braucht – und für mich, dass ich Aufschub gewinne, den Fortgang der Dinge abzuwarten: notfalls bis ganz zuletzt.» Die Mitgesellen beneideten Krabat, als er am Sonntag nach Tisch erklärte, der Müller habe ihm für den Rest des Tages Urlaub gegeben, weil in Schwarzkollm heut Kirmes sei. «Kirmes!» rief Lobosch. «Wenn ich das Wort bloß höre! Dann sehe ich Riesenbleche voll Streuselkuchen vor mir und Berge von süßen Kolatschen! Bringst du mir wenigstens was zum Kosten mit?» «Aber ja», wollte Krabat sagen; doch Lyschko kam ihm mit der Bemerkung zuvor, was Lobosch sich da wohl einbilde: Ob er denn glaube, dass Krabat nichts Besseres vorhabe in Schwarzkollm, als an Kuchen zu denken. «Nein!» widersprach ihm Lobosch. «Was Besseres gibt es auf keiner Kirmes!» Das sagte er so bestimmt, dass alle darüber lachen mussten. Krabat ließ sich von Juro eines der Brottücher geben, worin sie die Vesper mitnahmen, wenn sie zur Waldarbeit gingen oder zum Torfplatz; das faltete er zusammen und schob es sich unter die Mütze, dann meinte er: «Abwarten, Lobosch, was für dich übrigbleibt...» Krabat schlenderte aus dem Haus, er durchquerte den vorderen Koselbruch und schlug jenseits des Waldes den Feldweg ein, der um Schwarzkollm herumführte. An der Stelle, wo er am Ostermorgen der Kantorka gegenübergetreten war, zog er den Zauberkreis, darin ließ er sich nieder.
abernten – собирать урожай: die Ernte
das welke Laub – увядшая трава
jmdm. alle Gedanken zuwenden – направить все свои мысли на кого-либо
die Arme im Nacken verschränkt – скрестив руки на затылке
überdenken – обдумывать
von klarem Blau – чисто голубого цвета
der gefältete Sonntagsrock – нарядная юбка в складку
mit Blumen bedrucktes Seidentuch – шелковый платок в цветочек
spitzenbesetztes Häubchen – окаймленный кружевами платок
aus weißem Leinen – из белого льна
lang ist es her – давно это было
an dem Tuch zupfen – теребить платок
vorausgesetzt – предположим, …
dein Leben ist verwirkt – твоя жизнь потеряна
die Probe bestehen – выстоять испытание
226 Die Sonne schien, es war angenehm warm für die Jahreszeit. Kirmeswetter, mit einem Wort. Krabat blickte zum Dorf hinüber. Die Obstbäume in den Gärten waren schon abgeerntet, ein Dutzend vergessener Äpfel leuchtete gelb und rot aus dem welken Laub hervor. Halblaut sprach er die Formel, dann wandte er alle Gedanken dem Mädchen zu. «Es sitzt jemand hier im Grase», ließ er die Kantorka wissen, «der mit dir sprechen muss. Mach dich auf eine Weile frei für ihn, er verspricht dir auch, dass es nicht lange dauern soll. Niemand darf merken, wohin du gehst und mit wem du dich triffst: darum bittet er dich – und er hofft, dass du kommen kannst.» Eine Weile, das wusste er, würde er warten müssen. Er legte sich auf den Rücken, die Arme im Nacken verschränkt, um nochmals zu überdenken, was er der Kantorka sagen wollte. Der Himmel war hoch und von klarem Blau, wie er's nur im Herbst ist – und während er so hinaufblickte, wurden Krabat die Lider schwer. Als er aufwachte, saß die Kantorka neben ihm auf dem Rasen. Er konnte sich nicht erklären, weshalb sie auf einmal hier war. Da saß sie, geduldig wartend, in ihrem gefältelten Sonntagsrock, ein buntes, mit Blumen bedrucktes Seidentuch um die Schultern, das Haar unter einem spitzenbesetzten Häubchen aus weißem Leinen. «Kantorka», fragte er, «bist du schon lange da? Warum hast du mich nicht geweckt?» «Weil ich Zeit habe», sagte sie. «Und ich dachte mir, dass es besser ist, wenn du von selber aufwachst.» Er stützte sich auf den rechten Ellbogen. «Lang ist es her», begann er, «dass wir uns nicht gesehen haben.» «Ja, das ist lang her.» Die Kantorka zupfte an ihrem Tuch. «Nur im Traum bist du manchmal bei mir gewesen. Wir sind unter Bäumen dahingegangen, entsinnst du dich?» Krabat lachte ein wenig. «Ja, unter Bäumen», sagte er. «Es war Sommer – und warm war es – und du hast einen hellen Kittel getragen... Das weiß ich, als wäre es gestern gewesen.» «Und ich weiß es auch.» Die Kantorka nickte, sie wandte ihm das Gesicht zu. «Was ist es, weshalb du mich sprechen wolltest?» «Ach», meinte Krabat, «ich hätte es fast vergessen. – Du könntest mir, wenn du wolltest, das Leben retten...» «Das Leben?» fragte sie. «Ja», sagte Krabat. «Und wie?» «Das ist rasch erzählt.» Er berichtete ihr, in welche Gefahr er gekommen sei und wie sie ihm helfen könnte: vorausgesetzt, dass sie ihn unter den Raben herausfand. «Das sollte nicht schwer sein – mit deiner Hilfe», meinte sie. «Schwer oder nicht», hielt ihr Krabat entgegen. «Wenn du dir nur im klaren bist, dass auch dein eigenes Leben verwirkt ist, falls du die Probe nicht bestehst.»
keinen Augenblick zögern – не медлить ни минуты
jmdm. Botschaft senden – послать весточку
notfalls – в крайнем случае